Aber wir brauchen Erdgas, irgendwo muss es ja herkommen.
Mathias Koch: Russland hat ungefähr die Hälfte der deutschen Erdgasimporte ausgemacht. Es gibt aber auch Importe aus Norwegen oder den Benelux-Staaten, die schon länger LNG-Terminals haben. Die bleiben bestehen. Brauchen wir dann eigene LNG-Kapazitäten? Am Ende ist es sehr einfach: Man kann in der aktuellen Situation die weggefallenen Importe ersetzen oder die Nachfrage senken. Wenn wir zu stark in Richtung neuer Importe gehen, wird es bei den aktuellen Weltmarktpreisen sehr, sehr teuer. Wenn wir dagegen die Nachfrage reduzieren, wird es entsprechend günstiger. Die Nachfrage müssen wir ohnehin reduzieren, wenn wir unsere Klimaziele erreichen wollen. Also könnten wir das auch jetzt tun. Gerade im Gebäudebereich ist das Potenzial enorm
Mathias Koch: Durch den russischen Wegfall wurde dem Weltmarkt eine große Menge Gas entzogen. Das fehlt in diesem Equilibrium aus Angebot und Nachfrage und führt dazu, dass die Weltmarktpreise höher sind als in der Vergangenheit.
Russland fördert doch aber weiter Gas und will es auch weiter verkaufen. Wie kann es denn einfach verschwunden sein?
Maria Pastukhova: Das Gas, das Russland nicht nach Europa schickt, bleibt in Russland. Denn anders als bei Öl und Kohle, die per Schiff oder per Bahn verfrachtet werden können, braucht man für Gaslieferungen Pipelines. Nord Stream 1 und Nord Stream 2 waren zwei von mehreren, die den europäischen Markt versorgt haben. Insgesamt wurden dadurch 2021 etwa 155 Milliarden Kubikmeter Gas geliefert. Mehr als die Hälfte davon hat Russland selbst aus dem Markt genommen, indem sie zuerst Lieferungen durch die Jamal-Pipeline gestoppt haben, die durch Polen nach Deutschland führt. Dann folgte die Sperre von Nord Stream 1 und danach die Explosionen. Dadurch wurden 80 Milliarden Kubikmeter komplett aus dem globalen Markt entfernt. Es gibt keine Infrastruktur, die es Russland erlauben würde, dieses Gas in andere Märkte umzuleiten.
Aber man hört doch immer, dass Russland sein Öl und Gas in Zukunft nach Asien verkaufen will, wenn die EU nichts mehr abnimmt. Das geht gar nicht, weil Russland die entsprechenden Pipelines fehlen?
Maria Pastukhova: Das stimmt. Russland beliefert mit der Pipeline Power of Siberia 1 China. Diese Pipeline liefert derzeit etwa 19 Milliarden Kubikmeter pro Jahr. Russland will die Exporte nach China nächstes Jahr auf 25 Milliarden Kubikmeter steigern. Dann wäre es ungefähr die Hälfte dessen, was Nord Stream 1 transportiert hat. Bis 2025 sollen es 38 Milliarden Kubikmeter werden. Das ist kein Ersatz für den europäischen Markt. Nach der Annexion der Krim wurde mit den Planungen für eine zweite Pipeline begonnen. Eine Absichtserklärung mit China wurde unterzeichnet. Der Kreml hat immer wieder behauptet, dass sie aus denselben Gasfeldern gespeist werden soll, wie die europäischen Pipelines. Er wollte seine Lieferungen dann so gestalten, wie der Bedarf ist, und das Gas entweder nach Europa oder nach China schicken. Aber das ist schon einige Zeit her, bisher ist nichts passiert. Der Grund dafür ist höchstwahrscheinlich, dass chinesische Unternehmen keinen großen Bedarf an diesem Gas haben. Zweitens fehlt ihnen Investitionssicherheit. Das sind sehr große und langfristige Investitionen. Unter dem aktuellen Sanktionsregime ist man vermutlich nicht bereit, weiteres Geld in diese Pipeline zu pumpen.
Sie halten es also für unwahrscheinlich, dass Russland andere Abnehmer für sein Gas findet?
Maria Pastukhova: Für höchst unwahrscheinlich. Selbst wenn China und auch die Mongolei, die wie die Ukraine als Transitland fungieren müsste, dem sofortigen Bau dieser Pipeline zustimmen, fließt das Gas vielleicht in zehn Jahren. Denn der Bau einer Pipeline dauert extrem lange. Die Power of Siberia 1 ist über einen Zeitraum von zehn Jahren gebaut worden. Die neue Pipeline ist länger und soll mehr Kapazität haben. Es müsste also mehr Zeit für den Bau eingeplant werden – und das in Kriegszeiten, nicht einem normalen Investitionsklima.
Aber man sieht ja in Deutschland, dass man relativ schnell LNG-Kapazitäten aufbauen kann. Das ist für Russland keine Option? Es fehlen Pipelines und Flüssiggasterminals?
Maria Pastukhova: Es gibt natürlich russisches Flüssiggas. Das läuft ein bisschen unter dem Radar, aber Europa hat seine LNG-Importe aus Russland seit Januar sogar um 50 Prozent gesteigert. Aber dieses Gas wird größtenteils vom privaten Unternehmen Novatek verwaltet. Das wurde bei den Sanktionen weitgehend ignoriert, weil es nicht so viele Steuern einbringt und die russische Kriegskasse kaum füllt. Das ändert sich jetzt. Der Kreml hat bereits beschlossen, Flüssiggasexporte höher zu besteuern. Auch diese werden also politisiert. Wir müssen schauen, wie sich Russland und der europäische Markt dazu verhalten.