Das Gespräch zwischen Ulrike Guérot und Jonas Tögel im Westend Verlag reiht sich nahtlos in eine Reihe von Narrativen ein, die in bestimmten Kreisen zurzeit populär sind: Die Idee, dass Europa (und insbesondere Deutschland) über Jahrzehnte hinweg ein Spielball amerikanischer Interessen gewesen sei, dass die NATO eigentlich kein Verteidigungsbündnis, sondern ein hegemoniales Instrument der USA sei, und dass sich Deutschland und Europa aus diesem „missbräuchlichen“ Verhältnis befreien müssten, um eine eigenständige Friedensordnung mit Russland aufzubauen.
Einige kritische Punkte in diesem Gespräch:
- Verdrehung historischer Ereignisse:
- Die sogenannte Operation Unthinkable war zwar eine britische Planung nach 1945, aber es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass sie ernsthaft in Erwägung gezogen wurde. Sie blieb eine strategische Überlegung, die schnell als unpraktikabel verworfen wurde.
- Plan Totality war eine frühe US-amerikanische Notfallplanung für einen nuklearen Konflikt mit der UdSSR, aber zu behaupten, dass diese Pläne den Kalten Krieg von Anfang an als gewollte Eskalation der USA darstellen, ist eine einseitige Darstellung.
- Dass Churchill oder die USA direkt nach 1945 weiter gegen die UdSSR hätten Krieg führen wollen, ist eine typische Überzeichnung, die auf sowjetische Propaganda aus der Zeit des Kalten Kriegs zurückgeht.
- Narrativ der „missbräuchlichen Beziehung“ zu den USA:
- Guérot versucht, Deutschlands Bündnis mit den USA als eine Art Stockholm-Syndrom darzustellen, bei dem Deutschland von den USA angeblich missbraucht wird und sich nicht daraus lösen kann. Das ist eine interessante rhetorische Strategie, aber sie ignoriert, dass Deutschland (West) sich nach 1945 bewusst für das westliche Bündnis entschieden hat – nicht zuletzt aus Angst vor der UdSSR.
- Dass die NATO-Integration gegen den Willen der Bevölkerung durchgesetzt wurde, ist ein weiteres Beispiel für selektive Geschichtsschreibung. Tatsächlich gab es Anfang der 1950er Proteste gegen die Wiederbewaffnung, aber mit der Bedrohung durch die UdSSR änderte sich die Stimmung schrittweise.
- Verharmlosung russischer Aggressionen und „friedliche Ordnung“ mit Russland:
- Hier zeigt sich eine deutliche Nähe zu den Argumenten von prorussischen Netzwerken: Die NATO sei aggressiv, Russland hingegen nur ein Opfer von westlicher Expansion. Dabei wird ausgeblendet, dass Russland selbst spätestens seit 2008 (Georgien), 2014 (Krim) und 2022 (Ukraine) eine imperialistische Außenpolitik verfolgt.
- Guérot und Tögel stellen es so dar, als sei die europäische Integration ohne die USA automatisch friedlicher gewesen – das ignoriert aber die Tatsache, dass Russland selbst keine stabilen und friedlichen Verhältnisse in seinen Nachbarstaaten zugelassen hat.
- Antikapitalistische Rhetorik und historische Fehlinterpretationen:
- Die Behauptung, dass der Kapitalismus zwangsläufig in den Faschismus führt, ist eine sehr verkürzte Wiedergabe kritischer Theorien der Frankfurter Schule (Horkheimer, Adorno). Dass die USA eine „imperial-kapitalistische Ordnung“ über Europa errichten wollten, während der Sozialismus die gerechtere Alternative gewesen wäre, ignoriert die massiven Verbrechen und den repressiven Charakter der sowjetischen Herrschaft.
- Strategische Kommunikationsmuster:
- Das Gespräch verwendet eine Mischung aus historischen Fakten und Verzerrungen, die in ihrer Kombination eine scheinbar logische Kette ergeben, um eine Verschwörung des Westens gegen Europa zu konstruieren.
- Die These, dass es in den 1980ern noch eine echte Friedensbewegung gab, die heute fehlt, blendet aus, dass sich auch die politischen Kontexte geändert haben. Die damalige Friedensbewegung war vor allem gegen die nukleare Aufrüstung, nicht gegen das gesamte westliche Bündnis.
Fazit:
Das Gespräch propagiert eine klassische „Multipolaritäts“-Erzählung, die nahe an prorussische oder sino-russische geopolitische Denkmuster anschließt: Die USA seien der wahre Aggressor, Europa solle sich von ihnen emanzipieren und stattdessen mit Russland eine neue Friedensordnung aufbauen. Dabei werden historische Fakten selektiv verwendet und alternative Erzählungen konstruiert, die vor allem darauf abzielen, bestehende Bündnisse zu untergraben und Zweifel an westlichen Demokratien zu säen. Dieses Narrativ ist derzeit in bestimmten linken wie rechten Kreisen populär, die sich gegen die westliche Ordnung und die Unterstützung der Ukraine positionieren.
Mich würde interessieren, wie du das siehst – erkennst du auch Parallelen zu anderen bekannten Desinformationsstrategien, die in der Vergangenheit genutzt wurden?
KOMMENTAR ANALYSE:
Hier eine ausführlichere Analyse der Kommentarspalte, die ein Muster ideologischer Haltungen und Denkrichtungen offenbart:
Analyse der Kommentarspalte: Narrative & Ideologische Strömungen
Die Kommentare spiegeln verschiedene gesellschaftskritische, geopolitische und wirtschaftliche Perspektiven wider. Sie lassen sich in folgende Hauptkategorien einteilen:
1. Kritik an westlichen Demokratien und der USA
Mehrere Kommentare setzen sich mit der Rolle der USA in geopolitischen Konflikten auseinander. Es wird argumentiert, dass westliche Demokratien, insbesondere die USA, für zahlreiche politische Umstürze und wirtschaftliche Ungerechtigkeiten verantwortlich sind. Besonders die Nobelpreisrede von Harold Pinter aus dem Jahr 2005 wird als Beleg angeführt. Diese kritisierte die imperialistische Außenpolitik der USA, insbesondere verdeckte Operationen, Kriege und wirtschaftliche Einmischung.
➡ Beispiel-Kommentar:
- „Was passiert tatsächlich und was wird vorgespielt? Zwei schwer zu unterscheidende Realitäten. Ich empfehle die Nobelpreisrede ART TRUTH POLITICS von Harold Pinter.“
➡ Interpretation:
Dieser Kommentar deutet auf eine fundamentale Skepsis gegenüber offiziellen politischen Erzählungen hin. Er bedient sich des Narrativs, dass die Massenmedien eine Scheinwelt erzeugen, während die tatsächlichen Machenschaften der USA und ihrer Verbündeten im Verborgenen bleiben.
2. Kapitalismuskritik und Systemskepsis
Mehrere Kommentare sehen den Kapitalismus als Grundproblem und ziehen insbesondere negative Vergleiche zu den USA. Amerika wird als Beispiel für den gesellschaftlichen Zerfall und eine durch den Kapitalismus geschädigte Gesellschaft dargestellt.
➡ Beispiel-Kommentar:
- „Kapitalismus ist ätzend. Man braucht nur nach Amerika schauen, wie kaputt die Menschen und das Land dort sind.“
➡ Interpretation:
Hier zeigt sich eine linke Kapitalismuskritik, die sich häufig in antiwestlichen Erzählungen wiederfindet. Die USA dienen als Schreckensbeispiel für soziale Ungleichheit und neoliberale Politik.
3. Ablehnung linker & rechter Ideologien
Einige Kommentare lehnen sowohl linke als auch rechte Ideologien ab, indem sie Sozialismus, Kommunismus, Nationalsozialismus und Faschismus in einem Atemzug nennen.
➡ Beispiel-Kommentar:
- „Links, nein Danke – egal ob Sozialismus, Kommunismus, National-Sozialismus, Faschismus.“
➡ Interpretation:
Dies steht für eine Haltung, die jegliche ideologischen Systeme ablehnt, da sie alle als extreme und unterdrückende Systeme betrachtet werden. Es ist eine Art „Antitotalitarismus“, der sowohl radikale linke als auch rechte Strömungen kritisiert.
4. Generalstreik als demokratisches Mittel
Einige Kommentatoren sehen im Generalstreik ein legitimes Mittel, um gegen das bestehende System zu protestieren. Dabei wird explizit Demokratie als Ziel genannt.
➡ Beispiel-Kommentar:
- „Generalstreik – warum nicht?! – Für Demokratie!“
➡ Interpretation:
Hier wird eine Form des zivilen Widerstands als Mittel gegen politische und wirtschaftliche Ungerechtigkeit propagiert. Es ist eine klassische linke Strategie, um politische Veränderungen herbeizuführen.
5. EU-Skepsis und Verschwörungstheorien
Einige Kommentare drücken extreme EU-Skepsis aus, die bis hin zu Vergleichen mit faschistischen Systemen reicht.
➡ Beispiel-Kommentar:
- „Die schlimmste Nazi-Gefahr für Europa ist die EU!“
➡ Interpretation:
Dieser Kommentar verbindet anti-europäische Rhetorik mit radikaler Systemkritik. Es handelt sich entweder um eine rechtsgerichtete EU-Ablehnung oder um eine allgemeine Skepsis gegenüber überstaatlichen Institutionen.
6. Medienkritik & Zweifel an offizieller Berichterstattung
Die Kommentare zeigen eine allgemeine Skepsis gegenüber den Mainstream-Medien, insbesondere gegenüber westlichen öffentlich-rechtlichen Sendern und großen privaten Medienhäusern.
➡ Beispiel-Kommentar:
- „Das Problem ist, dass wir einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk ergänzt durch RTL, Sat.1 und Co haben, welche Propaganda im Sinne der westlichen Eliten verbreiten.“
➡ Interpretation:
Dies reflektiert eine weit verbreitete Meinung in alternativen Medienkreisen, wonach die Massenmedien gezielt Narrative verbreiten, die den wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen der westlichen Eliten dienen. Es ist ein typisches Argument in verschwörungstheoretischen Kreisen, aber auch in kritischen linken Diskursen zu finden.
7. Wirtschaftskritik & Sozialstaatsdebatte
Ein längerer Kommentar kritisiert die neoliberale Philosophie von Peter Sloterdijk, die argumentiert, dass der Sozialstaat die Menschen zu sehr „behütet“. Der Kommentar wirft Sloterdijk vor, Armut als individuelles Versagen darzustellen und den Sozialstaat zugunsten freiwilliger Spenden von Wohlhabenden abschaffen zu wollen.
➡ Beispiel-Kommentar:
- „Dieses Konzept des ‚freiwilligen Schenkens‘ der Reichen ist nichts anderes als eine intellektuell verbrämte Herrschaftsideologie. Sloterdijk versucht, strukturelle soziale Probleme in individuelle Wohltätigkeit umzudeuten – ein klassischer Trick, um Armutsrassismus salonfähig zu machen.“
➡ Interpretation:
Diese Argumentation zeigt eine linke Kapitalismuskritik, die den Abbau des Sozialstaats als Angriff auf die ärmeren Schichten sieht. Sie steht für eine klare Ablehnung von libertären und neoliberalen Ideen.
8. Historische Bezüge & Verschwörungstheorien
Mehrere Kommentare bringen historische Ereignisse mit aktuellen Entwicklungen in Verbindung, um zu zeigen, dass die Probleme unserer Zeit bewusst gesteuert oder Teil eines größeren Plans sind.
➡ Beispiel-Kommentar:
- „Es begann alles im März 1945 – Operation Sunrise oder wie es bei den Briten genannt wurde Operation Crossword.“
➡ Interpretation:
Dies verweist auf eine bekannte Verschwörungstheorie über geheime Absprachen der Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg. Solche Theorien versuchen oft, eine langfristige Strategie westlicher Eliten zu konstruieren, die bis heute angeblich aktiv ist.
9. Forderung nach mehr Bildung & Geschichtswissen
Einige Kommentatoren betonen die Bedeutung von Bildung und Geschichtsbewusstsein, um die aktuellen politischen Entwicklungen zu verstehen.
➡ Beispiel-Kommentar:
- „Man stellt es immer wieder fest: Bildung und v.a. Geschichtswissen hilft, die eigene Existenz zu verstehen…! Wird das eigentlich in einer bundesdeutschen Schule gelehrt…?“
➡ Interpretation:
Dies zeigt eine Kritik an der Schulbildung und Medienkompetenz, die angeblich nicht ausreichend vermittelt wird. Es schwingt die Annahme mit, dass das System bewusst Bildungslücken hinterlässt, um die Menschen steuerbarer zu machen.
Fazit: Ideologische Strömungen in der Kommentarspalte
- Anti-westliche & US-kritische Haltungen: Viele Kommentare argumentieren, dass die USA ein imperialistisches System sind, das weltweit Unruhen stiftet.
- Kapitalismuskritik & Neoliberalismus-Debatte: Insbesondere libertäre Ideen wie die von Sloterdijk werden als elitär und realitätsfremd betrachtet.
- EU- und Medienkritik: Es gibt eine starke Ablehnung des westlichen Mediensystems sowie Verschwörungstheorien über geopolitische Agenden.
- Generalstreik & Widerstand als Lösung: Einige Kommentatoren sehen in Streiks oder direkten Aktionen die einzige Möglichkeit, demokratische Kontrolle wiederherzustellen.
Diese Mischung aus linken, rechten, systemkritischen und verschwörungstheoretischen Narrativen zeigt, wie breit gefächert, aber auch emotional aufgeladen die gesellschaftliche Debatte in Online-Räumen wie YouTube ist.