In der aktuellen politischen und ideologischen Gemengelage 04-2025.
Hayeks „Der Weg zur Knechtschaft“ (1944) wird derzeit wieder auffällig oft zitiert – insbesondere in konservativen, libertären, wirtschaftsliberalen oder rechtsoffenen Kreisen, aber auch in Teilen der Verschwörungsszene. Warum ist das so?
1. Was sagt Hayek in diesem Buch eigentlich?
Hayeks Grundthese ist relativ einfach:
Zentrale Planung (also Planwirtschaft, sozialistische Wirtschaftslenkung) führt notwendig zur Freiheitsbeschränkung. Der Versuch, wirtschaftliche Gleichheit durch staatliche Eingriffe zu erzwingen, führe unweigerlich zur Diktatur, weil solche Systeme Autorität brauchen, um die Planvorgaben durchzusetzen. Selbst gut gemeinte Sozialpolitik könne langfristig zur „Knechtschaft“ führen, also zum Verlust individueller Freiheit.
Hayek schrieb das Buch während des Zweiten Weltkriegs mit Blick auf den Nationalsozialismus, aber vor allem als Warnung an Großbritannien, das sich in Richtung stärkerer staatlicher Planung bewegte (Keynesianismus, Wohlfahrtsstaat, Rationierung etc.).
2. Warum ist das Buch jetzt wieder so populär?
Weil bestimmte Gruppen – oft ideologisch motiviert – Parallelen zwischen heutigen politischen Entwicklungen und Hayeks Warnungen ziehen wollen. Die Argumentation lautet oft ungefähr so:
„Der Staat greift immer mehr ein – Klimapolitik, Sozialprogramme, Migration, Subventionen, Corona-Regeln – das ist der Weg in den Sozialismus!“
Hayek wird dann instrumentalisiert, um staatliche Maßnahmen als gefährlich und autoritär darzustellen – auch wenn es sich dabei realpolitisch schlicht um demokratische Mehrheitsentscheidungen oder Kriseninterventionen handelt.
Besonders häufig geschieht dies in folgenden Kontexten:
– Klimapolitik:
CO₂-Bepreisung, Energiewende, Verzichtsdebatten = angeblicher Öko-Sozialismus
– Corona-Maßnahmen:
Lockdowns = angeblicher Verlust von Freiheit
– Sozialstaatliche – – Umverteilung:
Bürgergeld, Mietregulierungen = angeblicher Sozialismus
– Kritik an der EZB und Geldpolitik:
Inflation durch „zentral geplantes“ Gelddrucken
3. Warum ist das oft problematisch oder sogar irreführend?
Weil Hayeks Warnung vor einem autoritären Kollektivismus nicht automatisch auf jede Form staatlicher Steuerung oder Sozialpolitik übertragbar ist:
Hayek verwechseln viele mit einem Dogma gegen jede Form staatlicher Ordnung. Dabei war er kein Anarchokapitalist, sondern hat durchaus staatliche Mindeststandards anerkannt.
Moderne Sozialstaaten wie Schweden, Deutschland oder Frankreich sind keine Diktaturen, sondern demokratisch legitimierte Mischsysteme.
Die heutigen Herausforderungen wie Klimakrise, Pandemien oder Energieversorgung erfordern teilweise kollektive, koordinierte Lösungen – was Hayek damals so gar nicht im Blick hatte.
4. Wer profitiert von dieser Rhetorik?
Das Buch wird von Gruppen zitiert, die
staatliche Regulierung (z. B. Umweltauflagen, Steuerpolitik) ablehnen,
Kapitalinteressen verteidigen (teilweise unreflektiert),
eine pauschale Angst vor dem „Great Reset“, der „grünen Diktatur“ oder dem „Sozialismus“ schüren wollen, oder den Staat insgesamt als Feind stilisieren, z. B. in rechtslibertären oder neu rechten/identitären Kreisen.
5. Einordnung: Missbrauch eines Klassikers
Hayeks Werk war ein intellektueller Beitrag zur Auseinandersetzung mit Totalitarismus und Kollektivismus. Aber was heute daraus gemacht wird, ist oft:
Polemik gegen demokratische Beschlüsse Panikmache gegen staatliche Maßnahmen Instrumentalisierung zur Blockade von Klimapolitik oder Sozialreformen
Fazit:
Der Weg zur Knechtschaft wird heute in „merkwürdigen Kreisen“ gerne zitiert, weil es sich als ideologisches Kampfmittel eignet.
Es dient dazu, komplexe gesellschaftliche und politische Prozesse zu delegitimieren, indem man sie pauschal als “sozialistisch” oder “autoritäre Knechtschaft” diffamiert.
Wer das Buch wirklich gelesen hat, erkennt allerdings schnell:
Was Hayek meinte und was seine heutigen Zitierer behaupten, liegt oft meilenweit auseinander. –> Ähnlich ist es wenn Jens Spahn, Ayn Rand liest, zitiert und es nicht versteht.
Wo Hayek heute zitiert oder instrumentalisiert wird (Beispiele und Kanäle) Wie die Netzwerke rund um Cato, Heartland, Atlas & Co. funktionieren.
Warum diese Gruppen Hayek pushen.
Wie man argumentativ dagegenhalten kann (inkl. Konterstrategien)
1. Wo und wie Hayek heute auftaucht
Typische Beispiele aus YouTube, Twitter/X, Podcasts oder Vorträgen:
Daniel Stelter (“Beyond the Obvious”) Regelmäßige Warnungen vor „grüner Planwirtschaft“ Hayek taucht als Beleg gegen die Klimapolitik auf („Staatswirtschaft“, „Knechtschaft“) Achse des Guten, Tichys Einblick, NZZ-Kommentatoren, Apollo News
Hayek wird verwendet, um angebliche „Sozialismus-Tendenzen“ zu belegen: Bürgergeld, Wärmewende, EU-Verordnungen Marktradikale YouTuber (z. B. Maurice Höfgen, im Gegensatz oft dagegen) „Hayek warnt uns!“, kombiniert mit Narrativen à la: „Grüne Klimapolitik ist der neue Ökosozialismus!“ AfD-nahe Bildungskanäle / WerteUnion-nahes Umfeld Hayek als Gallionsfigur gegen EU, Energiewende, Corona-Maßnahmen US-Influencer wie Jordan Peterson, Dave Rubin, PragerU, Daily Wire Zitieren Hayek, um jede Form sozialer Gerechtigkeit als autoritär zu brandmarken.
2. Netzwerke dahinter: Cato, Heartland, Atlas, Mises, etc.
a) Atlas Network
Dachorganisation für libertäre Thinktanks weltweit 500 Partner weltweit, darunter:
FNF (Friedrich-Naumann-Stiftung) – FDP-nah Ludwig von Mises Institute Cato Institute Institut Économique Molinari (Frankreich)
Ziel: weltweite Verbreitung „marktradikaler“ Ideologie
b) Cato Institute
Mitbegründet von Charles Koch (Koch Industries) Extrem wirtschaftsliberal, klimawandelskeptisch, anti-regulatorisch Unterstützt gezielte Narrative: „Der Staat ist das Problem“ „Freier Markt = Freiheit“
c) Heartland Institute
Eine der lautesten Klimawandel-Desinformationsquellen der USA Verbreitet aktiv Narrative gegen CO₂-Bepreisung, Energiewende, Klimapolitik Hayek wird hier oft als Legitimation gegen jede staatliche Maßnahme bemüht.
d) Ludwig von Mises Institute (USA & EU-Ableger)
Extrem libertär, oft „anarchokapitalistisch“ Gegen Steuern, gegen Zentralbanken, gegen Regulierung Zitate von Hayek als Einstieg in radikalisierte Ablehnung demokratischer Institutionen
3. Warum diese Netzwerke Hayek pushen
Hayek bietet ein scheinbar „wissenschaftliches“ Fundament, um jegliche staatliche Maßnahme als gefährlich, totalitär oder moralisch verwerflich darzustellen. Er wird als Vordenker des freien Marktes verklärt – obwohl er differenzierter war. Ziel ist es, durch Hayek: öffentliche Daseinsvorsorge zu delegitimieren (Strom, Wasser, Rente, Klima) staatliche Eingriffe zu blockieren (z. B. CO₂-Preise, Sozialabgaben, Klimagesetze) Subventionen für fossile Konzerne und Privatisierungen zu verteidigen
Kurz: Hayek wird als „Trojanisches Pferd“ benutzt, um Marktinteressen zu verschleiern.
4. Konterstrategien und Gegennarrative
A) Faktenbasiert
Hayek selbst war kein Gegner des Sozialstaats: „Es gehört zur Aufgabe des Staates, eine Mindestversorgung mit Nahrung, Obdach und medizinischer Hilfe sicherzustellen.“
Viele der heutigen Sozialstaaten sind freier, demokratischer und wohlhabender denn je – das Gegenteil seiner Prognose. Der echte Totalitarismus, vor dem Hayek warnte, geht heute oft mit marktliberalem Autoritarismus einher (z. B. Orban, Trump, Bukele – nicht mit sozialdemokratischer Klimapolitik).
B) Rhetorisch
„Wer in einem CO₂-Preis schon die DDR sieht, hat Hayek entweder nie gelesen – oder bewusst missbraucht.“
„Nicht der Staat enteignet dich – sondern schlechte Löhne, steigende Mieten und kaputte Infrastruktur.“
„Hayek ist kein Joker gegen jede Klimapolitik – er war kein Fossil-Lobbyist.“
„Wenn Hayek leben würde, hätte er Twitter wohl sofort wieder verlassen.“
C) Psychologisch – Warum wirkt Hayek gerade jetzt?
1. Angst als Anker:
Hayeks Buch bedient eine tiefe Grundangst vieler Menschen vor Kontrollverlust und staatlicher Übermacht. In Zeiten multipler Krisen (Pandemie, Inflation, Energie, Krieg, Klima) wirkt die Warnung vor dem „Weg zur Knechtschaft“ wie ein vermeintlicher Weckruf – auch wenn der Kontext völlig anders ist.
2. Rückprojektion von Ideologie:
Wer ohnehin eine libertäre oder rechtskonservative Weltsicht hat, nutzt Hayek zur Bestätigung:
„Siehst du, Hayek hat’s schon 1944 gesagt!“
Das stärkt die eigene Identität – Confirmation Bias deluxe.
3. Intellektueller Anstrich für einfache Feindbilder:
Hayek klingt nach „Denker“ – das verleiht selbst dumpfer Polemik gegen Bürgergeld, Klimapolitik oder Corona-Maßnahmen ein Pseudo-Intellektualitäts-Siegel:
„Ich bin nicht rechts, ich zitiere nur Hayek!“
4. Komplexitätsreduktion:
Hayek bietet ein einfaches Weltbild:
Markt = gut, Staat = böse.
Das ist emotional sehr attraktiv, besonders in Zeiten, in denen viele Menschen mit der Komplexität moderner Politik überfordert sind.
5. Modernes Framing durch digitale Influencer:
YouTuber, Podcasts und Twitter-Threads verpacken Hayek mittlerweile in leicht verdauliche Memes, Video-Snippets oder Empörungs-Posts.
Seine komplexe Theorie wird zu einem TikTok-tauglichen Kampfbegriff reduziert – oft mit null Kontext.
Fazit – Warum wir Hayek nicht den Ideologen überlassen sollten
Hayek war ein kluger Kopf, aber kein Messias der Fossillobby oder Klima-Blockierer.
Seine Theorie hat historische Bedeutung – aber die heutige Anwendung ist oft ideologisch verzerrt, kontextfrei oder propagandistisch. Wer Hayek zitiert, sollte auch seinen Humanismus und seine Kritik an autoritären Märkten erwähnen (z. B. Monopole, Konzernmacht).
Es ist wichtig, die Netzwerke und Interessen hinter der Wiederbelebung Hayeks sichtbar zu machen: Cato, Heartland, Atlas Network, libertäre Lobbygruppen, Öl- und Gaskonzerne.