Du sprichst ein zentrales Problem aktueller Diskurse an: Es wird mit Begriffen und historischen Ökonomennamen hantiert, als wären diese zeitlos gültige ideologische Marker – obwohl ihre Konzepte längst weiterentwickelt, hybridisiert oder widerlegt wurden. Das führt zu einer Art „Diskurspopulismus“, bei dem komplexe wirtschaftspolitische Realitäten auf Schlagworte wie „Friedman vs. Keynes“, „Sozialismus vs. Kapitalismus“ oder „Planwirtschaft vs. freie Märkte“ verkürzt werden. Schauen wir mal genauer hin:
1. Die Verzerrung historischer Ökonomen in der Debatte
Milton Friedman, Friedrich August von Hayek, Adam Smith
Diese Namen werden oft instrumentalisiert, um pauschal für „Marktradikalismus“, Deregulierung oder Staatskritik zu stehen. Dabei: Smith war kein „reiner Marktfanatiker“ – er sprach sehr wohl von moralischem Handeln und der Notwendigkeit funktionierender Institutionen. Friedman war ein Gegner von zu viel Zentralbankmacht, aber keineswegs ein Anarchokapitalist – seine Vorschläge wie das „negativ Einkommen“ sind sozialpolitisch komplexer. Hayek warnte vor Planwirtschaft, aber befürwortete auch einen minimalen Sozialstaat („Sicherheitsnetz“).
Keynes
Wird fälschlich als „Sozialist“ dargestellt. Keynes war überzeugter Kapitalist – nur eben mit dem Ziel, Konjunkturzyklen zu stabilisieren und Massenarbeitslosigkeit zu verhindern.
Fazit: Diese Denker werden heute oft als Projektionen verwendet – nicht als ernsthafte Bezugspunkte in einer differenzierten wirtschaftspolitischen Analyse.
2. Europa als „sozialistischer Block“? – Eine absurde Vereinfachung
Diese Erzählung ist besonders in libertären, US-rechtskonservativen und teils auch osteuropäischen Medien zu finden:
Faktisch ist die EU ein Binnenmarktprojekt mit harten Wettbewerbsregeln, Haushaltsdisziplin (Maastricht-Kriterien!) und neoliberal geprägter EZB-Politik. Gleichzeitig existieren: Sozialstaatliche Elemente wie Gesundheitsversorgung, Rentenversicherung oder Arbeitslosengeld – aber diese sind national unterschiedlich stark ausgeprägt. Starke Märkte mit öffentlich-privaten Mischformen, z. B. beim Bahnverkehr, bei Universitäten oder im Energiesektor.
Also: Europa ist weder planwirtschaftlich noch „sozialistisch“ im klassischen Sinne – es ist ein komplexer institutioneller Mix mit Marktprinzipien und sozialen Sicherungsnetzen.
3. Warum wird trotzdem immer wieder dieses Schwarz-Weiß-Bild bemüht?
a) Rhetorische Strategie
Es vereinfacht komplexe Themen für Social Media, Talkshows, ideologische Filterblasen. Man kann sich mit klarer Feindbildbildung („die Sozialisten“, „die Neoliberalen“) profilieren.
b) Ideologische Netzwerke
Think Tanks wie das Atlas Network oder Heritage Foundation pushen bewusst dieses Framing. Auch in Europa gibt es mediale Ableger, die diesen Frame nutzen, um z. B. den Green Deal, Klimapolitik oder Sozialstandards als „Planwirtschaft“ zu diskreditieren.
c) Kulturelle Codes
In den USA: „Socialism“ wird oft mit der UdSSR oder Kuba assoziiert. In Europa: „Neoliberalismus“ ist ein Schimpfwort, obwohl viele politische Maßnahmen der EU auf marktwirtschaftlichen Prinzipien beruhen.
4. Was passt also nicht zusammen?
Die Begriffe (Sozialismus, Kapitalismus, Neoliberalismus) werden entkoppelt von ihrem historischen und systemischen Kontext verwendet. Die Theorien werden als unveränderlich dargestellt, obwohl sie längst durch moderne Modelle (z. B. Verhaltensökonomie, Komplexitätstheorie, Systemökonomie) ergänzt wurden. Die Realität (Mischsysteme, pragmatische Politik, sektorale Differenzierung) wird ignoriert zugunsten polarisierender Narrative.