Einleitung (Prolog “Moskauer Regeln”)
Catherine Beltons Putins Netz beginnt mit einem Prolog („Moskauer Regeln“), der exemplarisch zeigt, wie erbarmungslos die Machtkreise um Wladimir Putin („die Kreml-Maschinerie“) agieren. Als Beispiel dient Sergej Pugatschow, ein ehemaliger „Kreml-Banker“ und einstiger Förderer Putins, der innerhalb eines Tages von der Staatsmacht ruiniert wird. Pugatschow, der lange als unantastbar galt, gerät plötzlich in Ungnade: Seine Konten werden eingefroren und sein Imperium zerschlagen. Belton beschreibt dies als „typische Geschichte“ der neuen Machthaber: „Jahrelang war er unantastbar… nun hatte sich die Kreml-Maschinerie … gegen ihn gewandt“. Pugatschows Fall deutet die zentrale These des Buches an: Das Regime um Putin dehnt sich unaufhaltsam aus und frisst sogar alte Weggefährten. Belton zeigt, dass in Russland ein mafiöses System herrscht, in dem korrupte Netzwerke jeden Winkel der Gesellschaft infiltrieren. Der Prolog stellt klar: Wer sich gegen die inneren Kreise stellt, landet schnell im Gefängnis – fast „die ersten Mitglieder des inneren Zirkels, die stürzten“.
Kapitel 1 – Operation „Lutsch“ (St. Petersburg, 1992)
Das erste Kapitel schildert die politischen Anfänge Putins in Sankt Petersburg 1992. In einer Dokumentation unterhalten sich Putin und Filmemacher Igor Shadchan über Marktwirtschaft und alte Ideologien. Putin betont derbe, dass die Ideen von Marx und Lenin „hindernliche Märchen“ gewesen seien. Er präsentiert sich als Reformer, lobt aber zugleich den sowjetischen Geheimdienst als notwendig. Tatsächlich enthüllt Belton, dass Putin damals schon aktiv den Mythos seines freiwilligen Ausstiegs aus dem KGB propagierte – eine Mär, die er beim Verlassen des Dienstes 1990 verbreitete, tatsächlich aber unwahr ist. So bemerkt Belton über Putins Legende: „Das war nur der Auftakt zu einer Reihe von Unwahrheiten… rund um seine KGB-Laufbahn“. Hinter den Kulissen wurden jedoch bereits Pläne geschmiedet: Die KGB-Dienststelle leitete „Operation Lutsch“ (»Sonnenstrahl«), um sich auf den Zusammenbruch des Ostblocks vorzubereiten. Laut Belton bestand das Ziel dieser Operation darin, „ein Netzwerk aus Agenten zu rekrutieren, die noch lange nach dem Zusammenbruch … aktiv bleiben sollten“. Kapitel 1 zeigt, wie Putin sich der Welt als Demokrat präsentierte, während sein Umfeld heimlich die KGB-Infrastruktur in Sankt Petersburg festigte. Wichtige Namen in diesem Kapitel sind u. a. Igor Shadchan (Regisseur), Bürgermeister Anatoli Sobtschak (Patron Putins) und die KGB-Führung, die die Operation Lutsch zu verantworten hatte.
Kapitel 2 – „Von innen heraus“ (Moskau, 1991)
Kapitel 2 schildert die dramatischen Tage um den gescheiterten Putsch im August 1991. Belton folgt dem KGB-Offizier Nikolai Krutschina, der entdeckt, dass die höchste Parteikasse leer ist – und kurz darauf vermeintlich aus dem Fenster springt. Zahlreiche Funktionäre, die über die geheimen Parteifinanzen Bescheid wussten, sterben oder begehen „Selbstmord“. Belton deutet an, dass der Zusammenbruch der Sowjetunion weitgehend von innen herbeigeführt wurde: „Letztlich wurde der Zusammenbruch von innen heraus herbeigeführt. Die Männer an der Spitze des KGB hatten entschieden, ›ihr eigenes Zuhause in die Luft zu jagen‹“. In Moskau strömt Boris Jelzin in aller Öffentlichkeit unter dem Jubel der Menge das Dekret zur Auflösung der KPdSU aus – die Partei, die jahrzehntelang Macht und riesige Auslandskonten besaß. Belton zeigt, dass diese Konten längst leer sind: Die Gelder wurden heimlich abgezweigt. Nach dem Zusammenbruch finden sich Gerüchte über Milliarden, die über neu gegründete Gemeinschaftsunternehmen ins Ausland gingen. Die Erzählnarrative dieses Kapitels drehen sich um Verschwörung und Verrat: Die einst mächtigen KGB- und Parteieliten sind gespalten und misstrauen einander. Belton beschreibt einen Tunnelblick: „Wir waren allesamt beklommene Beobachter des Geschehens, doch das alles ging von innen heraus“. Zentrale Figuren sind neben Krutschina und Jelzin auch Viktor Geraschtschenko (Staatsbankchef) und der FSB-Vorläufer, die verdeckten Geheimdienstler, die diesen Kollaps manipulieren.
Kapitel 3 – „Die Spitze des Eisbergs“ (Sankt Petersburg)
Kapitel 3 öffnet die Perspektive auf Sankt Petersburg: den Hafen und die Ölinfrastruktur am Finnischen Meerbusen. Historische Schilderungen zeigen, dass dieser Hafen Russlands „Fenster zum Westen“ war – nun Ort brutaler Bandenkriege und Mafiaallianzen. Belton erläutert, wie KGB und Organisierte Kriminalität hier schon seit den späten 1980ern kooperieren: „Der Hafen bildete die Grundlage der Geschäftskontakte zwischen [Anatoli] Sobtschak, dem örtlichen Mafiaboss [der Tambow-Gruppe] und dem Ölhändler, der ein Exportmonopol besaß. Diese Beziehungen entwickelten sich zum Modell dessen, wie Putins Russland funktionieren sollte“. Im Kern stand Putin selbst: Als Sobtschak 1991 Bürgermeister wurde, überließ dieser dem kremlnahen jungen Aufsteiger Putin das Außenhandelskomitee. So wurde Putin das Bindeglied zwischen KGB-Kreisen und den zwielichtigen Geschäftsleuten (z.B. Juri Kovaltschuk, Gennadi Timtschenko) am Hafen. Das Kapitel zeigt, wie wirtschaftliche Knebelverträge („Tauschhandel“) und Schutzgelder ein System städtischen Klientelismus schufen. „Durchsetzen konnte sich letztlich eine Allianz aus Mafiamitgliedern und dem KGB, … in deren Mittelpunkt Wladimir Putin stand. … Der Hauptgrund für den enormen Einfluss des KGB in Sankt Petersburg war … der Bürgermeister Anatoli Sobtschak, der … die alltäglichen Aufgaben seines Amtes Putin überließ“. Mythos und Narrativ hier: Petersburg fungierte als Probelauf für den späteren Staatsklientelismus, die Spitze dieses Eisbergs, dessen Grundstruktur im ganzen Land zu finden ist.
Kapitel 4 – Operation „Nachfolger: ‚Es war bereits nach Mitternacht‘“ (Moskau, Sommer 1999)
Im vierten Kapitel schildert Belton den Machtkampf im Kreml nach der Rubel-Krise 1998. Die „Jelzin-Familie“ (Yeltsins Clan) befindet sich in der Krise: Boris Jelzin wird krank, sein Umfeld verzweifelt. Ein plötzliches Vakuum entsteht, während kommunistische Hardliner Aufklärungen über große Finanzskandale betreiben (FIMACO-Affäre) und die Korruption des „alten Regimes“ öffentlich machen. Unter dem Titel „Operation Nachfolger“ begleitet Belton, wie der KGB-Kern hinter den Kulissen agiert: Er setzt auf einen „Kompromisskandidaten“. Trotz Tschubais’ Warnung wird Putin aus Petersburg nach Moskau geholt. Ein früherer KGB-Mann aus Putins Umfeld fasst es so zusammen: „[Die Familie] hatte keine Wahl. … Sie hielten Putin für eine Zwischenlösung, die sie kontrollieren konnten. … Der Einzige, der entschieden dagegen war, war Tschubais. … Seine Intuition trog ihn nicht.“. In diesem Kapitel zeigt Belton, dass Putins Aufstieg kein Zufall war, sondern er sorgfältig vorbereitet wurde. Die Präsidentschaft hat Putin erst wenige Monate später (Dez. 1999) übernommen. Belton illustriert dies mit Bild und Ton: Der Finanzhai Pugatschow vergleicht das Kremlin 1999 mit einem „bankrotten“ Unternehmen, und FSB-Generalstaatsanwalt Skuratow enthüllt in einem offenen Brief, wie die Zentralbank heimlich 50 Mrd. $ über FIMACO ins Ausland schaffte. Kapitel 4 stellt klar: Es geht um einen schleichenden Putsch der Sicherheitsapparate gegen die alten Mächtigen, wobei Putin als „neuer Zarist“ eingeführt wurde, indem er mit der Rubelkrise die Familie erpresste und als vertrauenswürdiger Vertrauter des KGB gepriesen wurde.
Kapitel 5 – „Kinderspielzeug in SchlammPfützen“ (Moskau, Herbst 1999)
Kapitel 5 legt dar, wie die „Jelzin-Familie“ im Herbst 1999 endgültig entmachtet wurde. Der Titelmetapher „Kinderspielzeug in Schlammpfützen“ stammt aus einem Zitat: Statt erwarteter Hetzjagden gaben gegnerische Politiker nur Panik, und nun dümpelte man „nutzlos herum“. Die zentrale These hier lautet: Die Familie musste sich dem Druck des KGB beugen und auf Putin als Präsidenten einigen. Wiederum zitiert Belton einen ehemaligen KGB-Mann: „Sie mussten einen Kompromisskandidaten finden. … [Die Familie] hatte von allen Seiten keinen Ausweg. … Putin war eine Zwischenlösung, die sie kontrollieren konnten. … Der Einzige, der dagegen war, war Tschubais. … Seine Intuition trog ihn nicht.“. Die Erzählung entlarvt Putins Image als „Zufallspräsident“. Tatsächlich habe man ihn „bereits dabei geprüft“, als man ihn nach Moskau schickte. Belton zeigt außerdem, wie systematische und erpresserische Methoden der Silowiki alles lenkten: Der Zusammenbruch des freien Oligarchenkapitalismus wurde von den Geheimdiensten gelenkt, Mabetex-Affäre und Gasprom-Deals kompromittierten die Familie, und letztlich wagte die „Familie“ nur diesen Weg, um sich zu retten. Ein weiterer zentraler Gedanke ist, dass die „Privilegien des Marktes“ den Sicherheitsleuten letztlich entglitten waren – diese erarbeiteten sich bei Jelzin nur das Recht, im Staat zu bleiben, bis der Zeitpunkt für eine „etatistische Wende“ kam. Beltons Narrativ: Putin trat auf als charmanter Retter des verfallenden Systems, doch hinter den Kulissen planten seine KGB-Kollegen längst die Großrazzia gegen die alte Regierung.
Kapitel 6 – „Der innere Zirkel setzte sich durch“ (Amtseinführung, Mai 2000)
Das sechste Kapitel beschreibt Putins feierliche Amtseinführung am 7. Mai 2000 und die ersten Signale seiner neuen Regierung. Die Szene ist goldgetränkt und prunkvoll, doch Belton weist auf doppelte Bedeutung hin: Der opulente Schmuck stamme von den korrupten Mabetex-Verträgen, „die Putin an die Macht verholfen hatten“. Im Kontrast zu Jelzins optimistischer Rede zur Freiheit spricht Putin von einer Erneuerung des Staates durch seine Stärke und Geschichte. Belton fasst dies pointiert zusammen: Putin versprach, „die Geschichte unseres Landes … nicht zu vergessen“ und stellte die „größten Errungenschaften“ des Vaterlands in Aussicht. Parallel werden die politischen Machtverhältnisse erläutert: Einerseits führt der Kontinuitätspakt dazu, dass Jelzins Vertraute (z.B. Ministerpräsident Kasjanow, Verwaltungschef Woloschin) im Amt bleiben. Andererseits stehen im Publikum bereits Putins „Sankt Petersburger Männer“ – KGB-Vertraute wie Juri Kovaltschuk und Gennadi Timtschenko – bereit, ihre Schattenpräsenz gelten zu lassen. „Nur wenig von ihnen war zu sehen, … aber es handelte sich um die Silowiki, die zunächst … dann allein ihre Muskeln spielen lassen sollten. Nur wenige Tage nach der Amtseinführung sendeten sie ein erstes deutliches Signal: Das Jahrzehnt der Freiheit, auf das Jelzin so stolz war, war zu Ende“. Kapitel 6 thematisiert also, wie friedliche Übertragung und Pracht inszeniert wurden, gleichzeitig aber ein System – der „innere Zirkel“ – sich endgültig durchsetzt: der Rückzug von Jelzins Liberalen, die Hervortreten der Hardliner.
Kapitel 7 – Operation „Energie“ (Westsibirien)
Kapitel 7 wechselt nach Westsibirien und erläutert Putins Strategie gegenüber dem Energiesektor. Belton betont: Erdöl und Gas waren seit Sowjetzeiten „der Goldschatz des Reiches“. Die Wiederherstellung staatlicher Kontrolle über dieses Erbe ist Putins Anliegen. Nach dem Kollaps wurde die Ölindustrie zwar formal privatisiert (Chodorkowski, Beresowski kauften Unternehmen wie Jukos, Sibneft), tatsächlich blieb ein großes Schwarzmarkt-Milieu bestehen. Belton zitiert einen ehemaligen KGB-Mann: „Ich hätte das Staatsmonopol niemals zerstört. Ich hätte alle Exporte in Staatshand behalten.“ Damit fasst er Kritik an der Jelzin-Ära zusammen. Putin und seine Gefolgsleute betrachten die sukzessive Privatisierung der Ölindustrie als existenzielle Bedrohung für Russland – einerseits, weil so viel Reichtum ins Ausland floss, andererseits weil die Oligarchen Jukos & Co. „das Staatsmonopol zerstört“ haben. Kapitel 7 schildert, wie Putin die „Command Heights“ der Energiegewinnung zurückerobert: Operation „Energie“ steht dabei metaphorisch für gezielte Übernahmen (Gazprom, Rosneft u. a.) und Repression gegen Öl-Oligarchen. Historisch eng verwoben ist der Terror in Tschetschenien, der Putins Amtszeit begleitet, aber wesentlicher Schwerpunkt ist das Thema Energiemacht. Wichtige Namen: Michail Chodorkowski, Boris Beresowski (abgesetzt), sowie tschetschenische Rebellengruppen im Hintergrund. Zentrale These: Mit steigenden Ölpreisen (12 auf 28 $/Barrel zu Beginn von Putins Amtszeit) und harschen politischen Säuberungen erreichte der Staat unter Putin eine „Kehre“ in der Energiepolitik zugunsten des Staates.
Kapitel 8 – „Aus dem Terror erwacht eine Großmacht“ (Frühe 2000er)
Kapitel 8 behandelt Putins Konfrontation mit inneren und äußeren Feinden. Die Überschrift „Aus dem Terror erwacht eine Großmacht“ verweist auf die Chechenen-Geiselnahmen (Moskau 2002, Beslan 2004) und die Rhetorik der Mächtigen. Belton beleuchtet Putins anfängliche Unsicherheit – nach der Kursk-U-Boot-Katastrophe blieb er „gelähmt“ zurück –, doch als er Yukos-Gründer Chodorkowski verhaften ließ, war ein Rückweg ausgeschlossen. Er nennt hier Pugatschows Satz: „Niemand wird dir Jukos oder die Übernahme von NTW verzeihen. … Wenn du in den Westen gehst, wirst du sofort verhaftet“. Dies zeigt den Druck, unter dem Putin steht, und die Erzwingung seines Machterhalts durch die Silowiki. Im weiteren Verlauf erklärt Belton, dass Putin in den ersten Jahren die Medien („NTW“) säuberte, die Gouverneure schwächte und die Oligarchen einschränkte – offiziell gar als „Bestrafung eines skrupellosen Oligarchen“ dargestellt. Als entscheidende Wendepunkte werden die Geiselnahmen von Moskauer Dubrovka und Beslan genannt: Putin isolierte sich in Panik in seinem Büro und trug damit zur Hysterie bei. Insgesamt zeichnet Kapitel 8 das Bild eines entstehenden Staatskapitalismus, in dem Terror und antiterroristische Erklärungen als Rechtfertigungen dienen. Der Mythos lautet: Durch harte Hand und „Beendigung der Chaotischen Neunziger“ (so Putins Zustimmung ~70 %) wird Russland wieder groß.
Kapitel 9 – „Der Appetit kommt beim Essen“ (2004–2012)
Kapitel 9 schildert die Zeit nach Putins Wiederwahl 2004: die Konsolidierung von Staatskapitalismus. Zentrales Ereignis ist der Prozess gegen Michail Chodorkowski (Sommer 2004) – vom Präsidenten der „Republik Yukos“ zum Gefangenen im Moskauer Gerichtskäfig. Belton erzählt die Szene anschaulich und zieht das Fazit: Chodorkowskis Fall wurde die Grundlage für Putins Staatskapitalismus. Das Verfahren „schuf den Präzedenzfall für die Verwandlung der russischen Justiz: als erweiterter Arm von Putins Silowiki“. Seither fungiert die Justiz als «Verbrechermaschine»: Zehntausende Geschäftsleute werden im Knast gehalten, bis sie ihre Firmen abtreten. Folge ist eine schnelle Wiederverstaatlichung: Binnen kurzer Zeit kontrollieren Staat und mit Putin verbundene Oligarchen über 50 % des BIP (nach vorher über 70 % privatem Anteil). Belton zeigt, dass ein neues Narrativ geschaffen wird: Chodorkowski wird als Parasit dargestellt, während russische Staatstreue und „Resource-Reclaiming“ als höheres Ziel gilt. Sie zitiert Putins früheren Berater Christian Michel: Die KGB-Leute hätten einen „Monster-Kapitalismus“ geschaffen und nun fürchten, dass die USA aus ihren Ressourcen Kapital schlagen. Sie sagten sich: „Wir holen uns die Ressourcen zurück, die der Nation gehören. Sonst erkaufen sich die Amerikaner die Kontrolle“. So rechtfertigten sie sich und schufen einen Propagandamythos der gerechten Rückgewinnung. Wichtigste Elemente: Rasante Staatskontrolle (Gas, Öl, Banken), (teilweise) populäre Zustimmung gegen Oligarchen und das Entstehen eines Schattenreichs („schwarze Kassen“). Kapitel 9 zeigt, dass „Staatskapitalismus“ unter Putin nicht nur autoritäre Kontrolle bedeutet, sondern auch gewaltigen Bereicherungsmöglichkeit für die siloviki (siehe Schwarzgeldkonten und Luxusanschaffungen). Zugleich gewann Putin innenpolitisch Stabilität durch Versprechen, «zu einer etatistischen Kehrtwende für die Verlierer der Jelzin-Jahre zu kommen».
Kapitel 10 – Obschak (Moskau, ab 2004)
Kapitel 10 führt in das Konzept des Obschak ein – die gemeinsame Schatztruhe des neuen Regimes. Während in den Medien der Fall Yukos lief, veränderten sich im Hintergrund russische Eigentumsverhältnisse radikal. Belton beschreibt geheime Aktientransaktionen: Gazproms Versicherung SOGAZ wurde im Sommer 2004 unbeachtet an Windhundfirmen verkauft, die alle mit der „Bank Rossija“ verbandelt waren. Diese Rossija-Bank gilt als das Vermögenstransportvehikel der Petersburger Garde. Belton urteilt: „Der SOGAS-Verkauf … markierte den Beginn einer Obschak-Bildung in großem Stil für Putins strategische – und persönliche – Zwecke“. Auf diesen Obschak gehen später viele russische Staatsaufträge und Investitionen zurück. Es entsteht eine neue Kaste loyale Oligarchen (z.B. Putin’s Datschen-Genossen vom See Osero), die sich in Putins zweiter Amtszeit nach und nach an die Spitze aller Schlüsselindustrien setzen – kurz: „Kreml GmbH“. Weitreichende Folgen: Die Kontrolle über Energie-, Rüstungs- und Infrastruktursektoren (Gazprom, Rosneft, Eisenbahnen etc.) wechselte an Putins Männer (z.B. Jakunin, Akimow, Kostin, Chemesev), die gleichzeitig vom gemeinsamen Obschak-System profitieren. Belton fasst zusammen: „Im Verlauf von Putins zweiter Amtszeit … bestand sein zentraler Ablass die Übertragung strategischer Wirtschaftszweige an enge Getreue aus Sankt Petersburg“. Die leitende These dieses Kapitels lautet, dass durch den Obschak die Grenzen zwischen Staat und Familie zerronnen: Was einst Party-Kasse war, wurde nun privatisierte Machtbasis des Inneren Kreises.
Kapitel 11 – Londongrad (Frühe 2000er–2010er)
Kapitel 11 verlagert den Blick ins Ausland, nach „Londongrad“ – der Szene russischer Oligarchen in Westeuropa. Der Einstieg schildert Roman Abramowitschs Aufstieg (Öl-, Aluminium-Milliardär), der anfangs als philanthropischer Gouverneur in der Tundra (Tschukotka) auftritt. Belton enthüllt hier, dass Abramowitsch nie völlig frei handelte: Er kam an Befehl Putins nach Tschukotka, weil seine Vermögen in Sibneft und Rusal Putin unter Kontrolle bringen sollten. Im Gegenzug investierte Abramowitsch Abermilliarden in Infrastruktur – wohl um sich die Gunst zu bewahren. Belton zitiert einen Vertrauten, der schildert: „Putin hat mir gesagt, wenn Abramowitsch als Gouverneur das Gesetz bricht, kann er ihn sofort ins Gefängnis werfen.“ Dieses Damoklesschwert führt nachher tatsächlich zu Steuerverfahren gegen Sibneft. Das Kapitel zeigt das Muster, dass russische Großunternehmer durch erpresserische Geldforderungen (später Chodorkowski genanntes Schicksal) zahm gemacht wurden. Die Message lautet: Die Oligarchen von Londongrad dürfen Reichtum anhäufen, solange sie dem Kreml dienen und keinen Alleingang wagen. Nach Putins langer Amtszeit war allen klar: „Ein feudales System wurde wiedereingeführt, in dem die Eigentümer der größten Unternehmen… wie angestellte Manager des Staates agierten“. Dieses Zitat unterstreicht die Kernaussage: Die Oligarchen wurden zu Vasallen; der Staat (die Sicherheitsleute) sind die neuen Herrscher. Wichtige Personen sind hier Abramowitsch, Alischer Usmanow, und mittelbar auch Exil-Oligarchen wie Boris Beresowski (erwähnt am Rande). „Londongrad“ dokumentiert, wie westliche Metropolen zum Hinterhof der russischen Eliten werden.
Kapitel 12 – „Die Schlacht beginnt“ (2007)
Kapitel 12 („Die Schlacht beginnt“) analysiert Putins Außenpolitik-Schwenk und seine Konfrontation mit dem Westen. Die Kapitelüberschrift basiert auf Putins Rückblick auf die Münchner Sicherheitskonferenz 2007, wo er offen zum Angriff blies. Belton formuliert die Leitthese: Wenn Putins KGB-Leute ihren Reichtum in demokratische Institutionen statt in Machtorgien investiert hätten, wäre die Welt anders; aber sie betrachten den Westen als Feind. Aus ihrer Perspektive habe der Kalte Krieg nie geendet und westliche Politik sei zu einem existentialen Angriff geworden. In München trat Putin mit der Warnung auf, er werde nicht gefallen, was er zu sagen habe. Belton zitiert Teile seiner Rede, in der Putin die USA als „unipolare Herren“ brandmarkt und NATO-Erweiterung geißelt. Die Anspielung „die Schlacht beginnt“ steht also für den offeneren Bruch mit dem Westen. Neben Putins Rhetorik werden zwei wichtige Reaktionen des Westens geschildert: Die Wahl des vermeintlich liberaleren Dmitri Medwedew (2008) wurde als Signal einer Wende verstanden, und die Obama-Administration probte 2009 einen „Reset“ – kurz vor dem Georgienkrieg (Aug. 2008). Kapitels umreißt, dass Putin in der Außenpolitik nun mit harten Bandagen spielt, die früher versteckt waren. Wesentliche Zitate: „Für die KGB-Männer… war das Vordringen des Westens bis an die Grenzen eine existenzielle Bedrohung“. Belton zeigt, dass von nun an Wertewidersprüche offen ausgetragen werden und Putins Lager allmählich die propagandistischen Kampfbegriffe („revolutionäre Moskau-na-Temsa“) aufbaut.
Kapitel 13 – Schwarzgeld (2014, Panama Papers u. Ä.)
Kapitel 13 nimmt aktuelle Enthüllungen in den Blick: die „Panama Papers“ und Putins globale Schattenfinanzierung. Zentrales Motiv: Das Netzwerk hat riesige Schwarzgeldströme entwickelt, um seine Operationen zu finanzieren. Belton setzt beim „John Doe“ an, der die Mossack-Fonseca-Leaks 2016 auslöste. Diese offenbarten unter anderem, dass Sergej Roldugin, ein befreundeter Cellist Putins, als Strohmänner fungierte. „Die geleakten Unterlagen… enthüllten die Maschinerie eines Finanzsystems, das außerhalb der Gesetze operierte“. Roldugin, lange Unbekannter, rückte in den Fokus: Über Briefkastenfirmen flossen mehr als 2 Milliarden Dollar an ihn. Er war aber keineswegs ein Zufallsgast, sondern Part des obschak: Allem Anschein nach diente Roldugin als Strohmänner für Putins eiserne Reserven – Teil von ‚Putins goldenem Fallschirm‘. Kapitel 13 zeigt so, wie Offshore-Strukturen (Bank Rossija, VTB-Zweige, etc.) systematisch für die Kasse der Machtzirkel genutzt werden. Beharrlich ist der Erzählungston: Alles läuft nach Mafia-Regeln („schmutzige Bomben“ des Geldes, Pugatschow in einem Interview), Länderwechsel für Posten und Konten. Das Narrative gliedert sich in Exposition der Leaks und Analyse – man kann sagen: Es entlarvt den Mythos der „unschuldigen“ Geldanlage als Staatsstrategie. Wichtige Namen: Roldugin, Juri Kovaltschuk, Gennadi Timtschenko u. a., allen voran „Putins persönliche Bank“ (US-Sanktionsterminus) Rossija. Durch die Panama Papers sieht der Leser die unsichtbaren Fäden der Macht aus nächster Nähe.
Kapitel 14 – „Weiche Macht“ (Orthodoxe Taliban) (Um 2013, Ukraine)
Kapitel 14 trägt den Untertitel „Ich nenne sie die orthodoxen Taliban“ (Zitat von Ljudmila Narussowa, Witwe von Putins Mentor Sobtschak) und betrachtet Putins Einflussoperationen jenseits reiner Gewalt: Religion und heimliche Strategien. Belton schildert, wie im Vorfeld und nach der ukrainischen Orangen Revolution von 2004 russische Agenten verstärkt auf weiche Macht setzten. Sie finanzierten und koordinierten vermeintlich „unpolitische“ NGOs und Kirche: Förderverträge mit der orthodoxen Kirche sollten prorussische Gefühle wecken. In der Ukraine wurden umstrittene Gas-Deals geschlossen, durch die mehrere Präsidenten gekauft schienen. Zugleich agierte eine Clique orthodoxer Oligarchen (z.B. Konstantin Malofejew, Vladimir Jakunin) als Pate dieser Mischtechnik. Malofejew wird als Stichwortgeber und Organisator eines Netzwerks bezeichnet, das er unter der Tarnung des Glaubens errichtete: Eine Stiftung zur Verbreitung orthodoxer Werte wurde zur Keimzelle politischer Einflussarbeit. Belton zitiert Narussowa: „Man nannte sie die orthodoxen Taliban. Das ist die Rückkehr zum Mittelalter. Sie benutzen die Religion, um die Verfassung und die fundamentalen Rechte der Bürger zu untergraben.“. Dies fasst die Kernthese zusammen: Russland bekämpft westliche Werte und Bewegungen nicht nur mit Waffen, sondern mit einer Mischung aus Kirche, Komplizenschaft der Reichen und Propaganda. Wichtige Protagonisten sind hier neben Putin u. a. Malofejew (ein Stratege im Schatten), Patriarch Kyrill (als Sprachrohr) und die Szenen der Ukrainekrise 2013/14 insgesamt. Narrative Schwerpunkte: Der Grabenkampf „Russland gegen den Westen“ hat eine religiöse Komponente; konservative Orthodoxie wird gegen liberale Demokratie gestellt. „Soft Power“ als Kampfmodus heißt: Kirchenbankett statt Wolgaschlitten – doch mit genauso gewaltigem Einsatz.
Kapitel 15 – „Das Netzwerk und Donald Trump“ (Anekdoten um 1990er–2010er)
Das letzte Kapitel spinnt die Erzählung nach Westen: Es zeigt, wie jene Netzwerke aus KGB-Absolventen, Oligarchen und Kriminellen um Putin sich einst rund um US-Präsident Donald Trump formiert haben. Belton beginnt mit dem Treffen des russischen Geschäftsmanns Salas Tschigirinski und Trump im „Taj Mahal“-Casino (Atlantic City, 1990). Dieses Kennenlernen war „der Keim eines Netzwerks russischer Geheimdienstmitarbeiter, Tycoons und Personen aus dem organisierten Verbrechen, das Trump seither umkreist“. Im Kern stellt Kapitel 15 den Einfluss dar, den Putin’sches Schwarzkassen-Konglomerat auf die Trump-Brüchigkeit hatte: Russische Investoren retteten Trump in finanziellen Nöten, boten lukrative Projekte (Moskauer Bauaufträge, Miss-Universum 2013 in Moskau etc.), um ihn an sich zu binden. Obwohl Belton viele Namen nennt (Tschigirinski, Firtasch, Agalarow, Sater u. v. a.), ist die Botschaft: Londongrad und New York sind verbunden. Hier wird der wechselseitige Nutzen skizziert – und indirekt die Mythenbildung, wonach Trump allein durch amerikanische Größe erfolgreich sei, demaskiert. Zentrale These: Das Putinsche Netzwerk hat bewusst einflussreiche Ausländer («hostile entities» im neuesten Narrativ) in sein System eingebunden. Für westliche Leser besonders interessant: Das Kapitel untermauert mit vielen Anekdoten, dass Trump schon lange vor der Präsidentschaft als Teil dieses „alten Freundeskreises“ galt. Ein prägnantes Zitat fasst dies zusammen: „Sie [diese Leute] gehörten zu denen, die später dazu beitrugen, Trump vor der Pleite zu retten“. (Hier weist Belton auf die enge Verflochtenheit hin.) Das Narrativ ist: Trump war „gefälliger Gast“ eines russischen Netzwerks, das ihn entweder umwarb oder er erwählte, weil er opportun war. Entscheidende Orte: Atlantic City, London, Moskau. Protagonisten: Trump selbst, Mark Richard Tschigirinski („Putins Geschäftspartner“), Fayez Sarofim/John J. Hall (als Gläubiger) und russische Investoren-Familien.
Epilog – Sistema (2014–Ende)
Im abschließenden Epilog („SISTEMA“) bilanziert Belton das Gesamtbild: Das Putinsche Sistema ist eine auf Korruption beruhende Vetternwirtschaft. Nach außen wirke Russland als Herausforderung („immer gefährlicher für die liberale Ordnung“), doch intern zehre es an sich selbst. Belton schreibt, die „Mafiamethoden der Kontrolle und Korruption durchdrangen jeden Winkel der Gesellschaft“. Anhand des Falles Alexander Schestun (Bezirksprefekt südlich von Moskau) zeigt sie, wie das System funktioniert: Schestun war ein „Torpedo“ für den FSB – er lieferte belastende Geheimdienst-Informationen über regionale Rivalen. Als er sich später gegen die Interessen eines FSB-Generals (Tkatschew) auflehnte, rief dieser den „Dampfwalzen“-Apell in einem abgehörten Gespräch aus: „Denken Sie an Udmurtien… an Mari El… an Sachalin… Ich habe all diese Zaren, Götter… mit meinen eigenen Händen rausgetragen.“. Diese Drohung dokumentiert, wie FSB und Silowiki Opposition unterdrücken. Der Epilog klagt an, dass „ein System rivalisierender Clans… um Teile des Wohlstandskuchens stritten und um zu überleben kooperieren mussten“. Am Ende zeigt Belton: Das Putin-Regime ist keine monolithische Ordnung, sondern ein korruptes Geflecht, in dem der Staat und private Interessen verschmelzen. Das aufstrebende Russland wird hier als Paradox gezeichnet: „Wir sind der Staat“, sagen die Silowiki – und in ihren Augen stimmt das.
Quellen: Direkte Zitate stammen aus Catherine Beltons Putins Netz (Originalfassung) und sind im Text mit Seitenangaben gekennzeichnet. Jedes Kapitel deckt die zentralen Narrativen und Thesen sowie die wichtigsten Akteure auf, von Putins frühesten Tagen bis zu den gegenwärtigen Machtstrukturen, und zeigt den stetig wachsenden Einfluss des KGB-Netzwerks auf Russland und den Westen.