Analyse zur Lage der deutschen Automobilindustrie (Stand September 2025)

Hintergrund

In sozialen Medien und populären Internetforen kursieren seit längerem Behauptungen, wonach die deutsche Automobilindustrie am Ende sei, weil chinesische Hersteller mit günstigen Elektroautos (EV) den Markt überrollen würden. Andere Beiträge bezweifeln die Sinnhaftigkeit der Elektrifizierung oder behaupten, E‑Autos führten zu gesundheitlichen Problemen. Diese Analyse versucht, tatsächliche Daten zur Entwicklung der Branche zusammenzustellen, Fehlinformationen zu entkräften und eine ausgewogene Einschätzung zu geben.

Entwicklung des europäischen Automobilmarkts

Gesamtmarkt und Antriebsarten

  • Im ersten Halbjahr 2025 gingen die Neuzulassungen in der EU um 1,9 % zurückacea.auto. Im Juli 2025 betrug das Minus auf Jahressicht nur noch 0,7 %acea.auto. Trotz des geringeren Gesamtvolumens wächst der Anteil alternativer Antriebe.
  • Batterieelektrische Autos (BEV) erreichten im Juli 2025 15,6 % Marktanteil (Vorjahr: 12,5 %)acea.auto. Deutschland steigerte die BEV‑Neuzulassungen in den ersten sieben Monaten um 38,4 %acea.auto.
  • Hybridfahrzeuge sind aktuell am beliebtesten und hielten im Juli 2025 34,7 % Marktanteilacea.auto. Plug‑in‑Hybride machten 8,6 % ausacea.auto.
  • Der Marktanteil von Benzin‑ und Dieselfahrzeugen fiel auf 37,7 % (2024: 47,9 %)acea.auto. Die Zulassungen von Benzinern und Dieseln gingen bis Juli 2025 um 20,1 % bzw. 26,4 % zurückacea.auto.

Rolle chinesischer Hersteller

  • Chinesische Marken haben in Europa an Bedeutung gewonnen, stellen aber weiterhin eine Minderheit dar. Laut JATO Dynamics verdoppelten sie ihren Marktanteil im ersten Halbjahr 2025 auf 5,1 %jato.com. Das bedeutet, dass etwa 95 % der Fahrzeuge weiterhin von europäischen, japanischen, koreanischen oder US‑Herstellern stammen.
  • Fünf Marken treiben das Wachstum: BYD, Jaecoo, Omoda, Leapmotor und Xpeng. BYD verkaufte im ersten Halbjahr knapp 70.500 Fahrzeuge in Europa (plus 311 %)jato.com; dennoch ist der Absatz im Vergleich zu etablierten Herstellern gering. In Deutschland verkaufte BYD im ersten Quartal 2025 2.791 Fahrzeuge, was trotz eines Anstiegs von 385 % nur einen Bruchteil des deutschen Marktes ausmachtelectrive.com.
  • Chinesische Unternehmen bieten zunehmend Plug‑in‑Hybride an, um EU‑Zölle zu umgehenjato.com. Ihre Modelle konzentrieren sich auf wenige Baureihen und zielen vor allem auf das Preis‑Segment.

Deutsche Hersteller und Innovation

  • Deutsche Premiumhersteller setzen weiterhin auf eine breite Palette von elektrischen und hybriden Fahrzeugen. Auf der IAA Mobility 2025 präsentierten BMW, Audi, Mercedes‑Benz und Volkswagen zahlreiche neue Elektro‑Modelle. Branchenvertreter betonten, dass eine vollständige Elektrifizierung langfristig unumgänglich seielectrive.com.
  • Die IAA zeigte jedoch auch, dass der Verbrennungsmotor im Übergang noch präsent ist und Hybridmodelle für Bestseller wie den VW T‑Roc genutzt werdenelectrive.com.

Handels- und Standortpolitik

  • Die deutsche Automobilindustrie leidet aktuell weniger an chinesischer Konkurrenz als an politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Der Volkswirt Martin Braml betonte gegenüber Euronews, dass steigende Lohnnebenkosten, umfangreiche Bürokratie und EU‑Vorgaben (z. B. das geplante Verbot von Verbrennern ab 2035) erhebliche Belastungen darstelleneuronews.com. Er sieht die Krise als selbstverschuldet und empfiehlt marktbasierte CO₂‑Preise statt starrer Verbote.
  • Braml weist darauf hin, dass deutsche E‑Auto‑Produktion weltweit gefragt ist: 2023 erwirtschaftete Deutschland im E‑Mobilitätsbereich einen Handelsüberschuss von 22 Mrd. €euronews.com. Gleichzeitig seien chinesische Fahrzeuge in Deutschland wenig verbreitet; nur jeder sechste Deutsche könne sich den Kauf eines chinesischen Autos vorstelleneuronews.com.
  • Ein strukturelles Problem besteht darin, dass elektrische Fahrzeuge weniger komplex sind und daher weniger Arbeitskräfte benötigen. Das erklärt Jobverluste, obwohl die Produktion steigteuronews.com.

Unternehmenszahlen

  • BMW konnte trotz eines 32 %igen Rückgangs des Quartalsgewinns im zweiten Quartal 2025 aufgrund sinkender Verkäufe in China seine Jahresprognose halten. Das Unternehmen rechnet weiterhin mit einem Vorsteuergewinn auf dem Niveau des Vorjahres (knapp 11 Mrd. €) und einer EBIT‑Marge von 5–7 %reuters.com. Der Umsatzrückgang in China betrug 15,5 %reuters.com. BMW profitierte dabei von seinem großen Werk in den USA, das einen Teil der Zollbelastung durch US‑Importe abfedertreuters.com.
  • Der Premium‑Absatz zeigt in manchen Ländern widerstandsfähige Tendenzen: In Frankreich legte der BMW iX1 im ersten Halbjahr 2025 um 8 % zu, während günstigere EV‑Modelle stärker betroffen waren. Premiumkäufer sind weniger auf Subventionen angewiesen und erwarten geringere Wertverlustego-electra.com.

Faktencheck zu verbreiteten Fehlinformationen

  • Gesundheitsgefahren durch Elektromagnetismus: In sozialen Medien wird behauptet, elektromagnetische Felder in E‑Autos führten zu Herzinfarkten. Die Deutsche Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) betont, dass keine wissenschaftlichen Belege für einen solchen Zusammenhang existiereneuropeannewsroom.com.
  • EV zerstören die deutsche Automobilindustrie: Social‑Listening‑Analysen zeigen, dass diese Erzählung zu den am häufigsten verbreiteten Desinformationen gehörtyouscan.io. Fachartikel und Studien haben sie als unbegründet entlarvtyouscan.io. Tatsächlich erzielt Deutschland einen Handelsüberschuss bei E‑Fahrzeugeneuronews.com und die chinesische Konkurrenz hat bisher nur 5,1 % Marktanteiljato.com.
  • Brennende oder „explodierende“ E‑Autos: Virale Videos über brennende E‑Autos werden häufig ohne Kontext geteilt. Fakt ist, dass Brandrisiken bei E‑Autos nicht höher sind als bei Benzinern; viele Meldungen wurden durch Faktenchecks widerlegt.

Wo liegt die Mitte?

Die Daten deuten auf eine Branche im Wandel, nicht im Niedergang. Elektrofahrzeuge gewinnen Marktanteile, aber der Gesamtabsatz stagniert oder sinkt leicht, weil wirtschaftliche Unsicherheit und politische Rahmenbedingungen Investitionsentscheidungen verzögern. Chinesische Marken wachsen schnell, dominieren aber den europäischen Markt bislang nicht und treffen in Deutschland auf verhaltene Nachfrage. Deutsche Hersteller befinden sich in einem Übergang, bei dem sie hohe Entwicklungskosten stemmen und gleichzeitig unter steigenden Energie‑ und Produktionskosten leiden. Zudem führt die geringere Komplexität elektrischer Antriebe mittelfristig zu Arbeitsplatzverlusten.

Einschätzung zu Automobilaktien

Ich bin kein Finanzberater. Dennoch lassen sich einige allgemeine Überlegungen ableiten:

  • Die Automobilindustrie bleibt zyklisch und sehr abhängig von Konjunktur, Regulierung und geopolitischen Entwicklungen. Der Umstieg auf Elektroantriebe erfordert hohe Investitionen und birgt Risiken (Batteriepreise, Ladeinfrastruktur), eröffnet aber auch Chancen für technologische Führerschaft.
  • Premiumhersteller wie BMW, Mercedes‑Benz oder Porsche verfügen über starke Marken und höhere Margen. Ihre Kunden sind weniger preissensibel; dies hat sich in Frankreich gezeigt, wo der BMW iX1 trotz eines rückläufigen Marktes zulegtego-electra.com. Gleichzeitig sind diese Unternehmen stark im Ausland engagiert und damit z. B. gegenüber einem Abflauen in China anfälligreuters.com.
  • Die Bewertung von Aktien hängt von vielen Faktoren (Gewinnentwicklung, Verschuldung, Dividenden, Zinssätze) ab. Anleger sollten sich bewusst sein, dass Unsicherheiten durch Zölle, politische Vorgaben und technologische Umbrüche kurzfristig zu starken Schwankungen führen können.

Fazit für Anleger

Die Daten zeigen, dass die deutsche Automobilindustrie unter Druck steht, aber keineswegs vor dem Untergang. Chinesische Marken holen auf, sind jedoch noch weit von einer Marktdominanz entfernt, und deutsche Hersteller exportieren weiterhin erfolgreich Elektroautoseuronews.com. In einer „Schwächephase“ können Aktienkurse niedriger sein; ob sich daraus eine Chance ergibt, hängt von der persönlichen Risikobereitschaft und Anlagestrategie ab. Wer in Automobilwerte investieren möchte, sollte die aktuellen Unternehmenszahlen, die Marktposition im EV‑Segment, die geopolitische Lage und die eigenen Anlageziele sorgfältig abwägen und gegebenenfalls professionelle Beratung in Anspruch nehmen.