Kurzfassung vorweg: Liebreich liegt für die nächsten 5–10 Jahre näher an der Realität, besonders bei Kosten, Physik/Handhabung und Prioritäten (erst Elektrifizieren & Netze, dann selektiver H₂-Einsatz). Rakhou hat recht, dass wir Optionen für Resilienz und schwer elektrifizierbare Sektoren brauchen – aber viele seiner „Skalierungs-“ und „bald-in-the-money“-Pfade hängen an Politik-/Carbon-Price-Annahmen, die heute (2025) nur punktuell tragfähig sind.
Ich ordne das entlang Randers’ technoökonomischer & gesellschaftspolitischer Brille ein:
1) Technoökonomik (heute → 2035)
- Kosten & Lernkurven: Liebreichs Punkt ist solide: Elektrolyseure selbst werden billiger, aber Balance-of-Plant (Zivile Technik, Kompressoren, Speicher, Netzanbindung) und vor allem Stromkosten & Vollbenutzungsstunden dominieren. Das limitiert die Lernrate. Rakhouseitig stimmt: Regionen mit sehr günstigem Solar/Wind (Iberia, Nordics, MENA, Teile von China/Indien, Australien) können „best-case“ liefern – aber der Systemzusatz (Überbau für 8-Stunden-Solar, Speicher/Überdimensionierung, Transport/Cracking) frisst viel der Vorteilspreise.
- „Resilienz-Hedge“ durch H₂: Ökonomisch schwach, sofern Kapazität jahrelang durchfinanziert werden muss, nur um seltene Preisspitzen zu hedgen. Klassische Versicherung (Speicher, Fuel-Switch, Demand Response, Diversifizierung von LNG-Quellen) ist meist billiger.
- Blau vs. Grün: Für bestehende H₂-Nachfrage (Ammoniak, Raffinerien, Methanol) ist „blau“ (mit strenger Methan-Leak-Kontrolle & hoher CO₂-Abscheidung) kurzfristig oft die Billigst-Dekarbonisierung. „Grün“ wird dort interessant, wo sehr günstiger Strom + hohe Auslastung zusammenkommen und die Alternative (z. B. SMR+CCS) politisch/ökologisch schwer vermittelbar ist.
- E-SAF & e-Fuels: Rakhou überschätzt die Schnelligkeit der Wirtschaftlichkeit. Nischen (Langstreckenluftfahrt als Pflichtbeimischung, Luxus-/Oldtimer-Segment) – ja. Massenmarkt – nein, solange Strom/CO₂-Direktabtrennung teuer und Skalierung begrenzt ist.
- Endnutzung: Liebreich hat recht: PKW, Raumwärme, Kurz-/Mittelstrecken-Lkw → Batterie/Elektrifizierung schlägt H₂ praktisch durchgängig. Sinnvolle H₂-Inseln: DRI-Stahl (mit verlässlichem Billigstrom), Ammoniak (als Produkt, begrenzt als Schiffskraftstoff), Chemie, Langzeitspeicher im Netz (selten, systemdienlich), ausgewählte industrielle Hochtemperaturprozesse.
2) Gesellschaft & Politik (Randers-Linse)
- Pfadabhängigkeit & Zeitkäufe: Randers betont, dass wir Zeit kaufen müssen, auch wenn das suboptimal wirkt. Das stützt Rakhouse’ Ruf nach Optionalität – aber Randers warnt ebenso vor Fehlinvestitionen, die Kapital binden und die großen Hebel (Elektrifizierung, Netze, Effizienz) verzögern. Hier liegt Liebreich vorn: Netzausbau, Permitting, Speicher liefern mehr Klimanutzen pro investiertem Euro als breite H₂-Wetten.
- Carbon Pricing vs. Subventionen: Randers: Preise wirken, Politik zögert. Rakhouse’ „Carbon-Price statt Subventionen“ ist richtig – realpolitisch sehen wir aber Mischformen. Fazit: Klare, verlässliche CO₂-Preispfade + zielgenaue, befristete Förderungen für harte Sektoren → ja. Breite Dauersubventionen für H₂ → nein.
- Governance & Akzeptanz: Großinfrastruktur (Pipelines, Importterminals) braucht Ankerabnehmer und risikoteilende Verträge (CfDs, Take-or-Pay). Ohne das droht – wie Liebreich sagt – Stranded-Asset-Risiko.
3) Wer „hat eher recht“ – nach Anwendungsfeld
- Kurz-/Mittelfrist (bis ~2032): Liebreich. H₂ bleibt teuer & knapp; Fokus auf bestehende H₂-Dekarbonisierung, DRI-Stahl-Pilotierung mit sehr günstigem Strom, kein Roll-out in Wärme/PKW/Lkw. Erst Netze & Nachfrage-Elektrifizierung.
- Langfrist (2032–2050): Gemischt. Bei anhaltend sehr billigem erneuerbarem Strom + guter Auslastung + CO₂-Preis könnte Rakhouse’ selektiver H₂-/NH₃-Handel tragfähig werden. Breite H₂-Ökonomie bleibt dennoch unwahrscheinlich; fokussierte H₂-Industrie ist plausibel.
4) Pragmatiker-Playbook für EU/DE (2025–2030)
- Elektrifizieren zuerst: EVs, Wärmepumpen, industrielle E-Prozesse; beschleunigtes Netz-/Speicherausbau & Genehmigungen.
- Grauen H₂-Fußabdruck senken: CCS+SMR dort, wo Infrastruktur & strenge Leckagekontrolle machbar; parallel grünen H₂ in „best-resource hubs“ (Iberia/Nordics) mit gesicherter Abnahme testen.
- H₂ nur dort, wo’s schlägt: DRI-Stahl, Ammoniak/Chemie, selektiver Schiffs-/Luftverkehr (Beimischung/Leuchttürme) und Netz-Langzeitspeicher (maßvoll).
- Infrastruktur nur mit Ankergeschäft: Pipelines/Terminals phasenweise, jeweils FID erst bei bindenden Offtakes & Transparenz über impliziten CO₂-Preis.
- Policy-Mix: Planbarer CO₂-Preis-Korridor, befristete CfDs für „harte“ Anwendungen, keine Daueralimentierung von uneffizienten Use-Cases.
- Resilienz billig kaufen: Diversifizierte LNG-Kontrakte, Speicher, Demand Response, statt teure „H₂-Hedge“-Kapazität vorzuhalten.
5) Fazit in einem Satz
Heute ist H₂ ein gezieltes Industrie-Werkzeug, kein Allzweckbrennstoff; Liebreichs Prioritäten maximieren Klimanutzen pro Euro im Randers-Sinne, während Rakhouse’ Optionalität als eng geführte, evidenzbasierte Ergänzung Sinn macht – nicht als breite Strategie.