Wie ich lernte die Welt zu verstehen, Rosling Hans

Zitate:

„In jedem Semester sagten meine Studenten dieselben Dinge im selben Tonfall.
Oft gab es zwei kleinere Gruppen, eine aus fanatischen, emotionalen Studenten sowie eine mit sachlicheren und ruhigeren Teilnehmern. Die große Masse tendierte jedoch eher den Aktivisten zu.

Dies war in den Neunzigerjahren, und damals waren die Tiere das große Thema, mehr als der Klimawandel. Die Roten Listen kamen auf, und den Tieren ging es schlecht, aber sogar der WWF begriff, dass man die Schimpansen nicht retten kann, solange die Menschen keine vernünftigen Lebensbedingungen haben.
Das machte auf die Aktivisten jedoch keinen Eindruck.

Während der ersten Semester kam ich nach den Vorlesungen oft aufgewühlt nach Hause und verfluchte die Überzeugungen der Studenten. Am unbeirrbarsten waren sie in ihrer vorgefassten Meinung, dass die Welt aus zwei Arten von Ländern und Menschen bestehe. Wenn ich durch die Cafeteria lief und dabei Gesprächsfetzen über die Vorlesung hörte, sprachen die meisten Grüppchen nur in den Kategorien wir und die über die Welt. Die häufigste Behauptung wurde ständig wiederholt:
»Die werden nicht wie wir leben können, das würde nie funktionieren. Es können nicht alle Chinesen ein Auto besitzen.«
Ich war jedoch ebenfalls der Ansicht, dass die Reichsten der Welt nicht im gleichen Umfang wie bisher Ressourcen verbrauchen konnten. Die Ärmsten müssten mehr konsumieren, und die große Gruppe in der Mitte müsste den Reichsten auf dem Weg zu einem nachhaltigen Konsum folgen. Nur wenige Studenten stimmten mir zu.
Die meisten waren fest davon überzeugt, dass die Armen ein glückliches Dasein im Regenwald und in indischen und afrikanischen Bauerndörfern führten. Wir sollten ihr Leben nicht verändern, sondern sie einfach weiter so leben lassen wie bisher.

Diese Aussagen schockierten mich zutiefst. Ich erinnerte mich daran, dass Menschen, denen ich begegnet war, sich Elektrizität, fließendes Wasser, Straßen und Krankenhäuser gewünscht hatten.

Jedes Semester begannen neue Kurse, und ich machte es mir zur Aufgabe, den Studenten zu zeigen, wie das Leben auf verschiedenen wirtschaftlichen Niveaus ist. Vor allem versuchte ich ihnen nahezubringen, dass es kein wir und die gibt, sondern dass alle Menschen, von Schweden bis in den Regenwald, in puncto Lebensstandard auf unterschiedlichen Stufen lebten.

Am Anfang meiner Vorlesung verteilte ich A3-Blätter an alle Teilnehmer. Darauf waren die Tabellen 1 und 5 aus UNICEFs jährlichem Bericht über die Situation von Kindern weltweit abgebildet. Sie enthielten Daten zu Bevölkerung, Wirtschaft und Gesundheit für alle Länder für das vergangene Jahr und die zwanzig vorangehenden Jahre. Ich ließ die Studenten sich die Länder ansehen, die große Fortschritte gemacht hatten. Die Daten ließen deutlich erkennen, dass die Welt hinsichtlich der Überlebensrate von Kindern und der Anzahl Neugeborener pro Frau nicht mehr in zwei Lager zerfiel.

Die meisten der Studenten waren ziemlich faktenresistent und vermuteten….

Davos ist eine recht gewöhnliche alpenländische Stadt mit einem bescheidenen Bahnhof. Agneta und ich zogen unsere Koffer auf Rädern hinter uns her. Morgens hatte es geschneit, und auf einem vereisten, abschüssigen Stück des Wegs rutschte ich aus. Wir checkten in unserem Hotel ein, das preiswert, aber ordentlich war. Und nun saß ich in einem Konferenzraum und lauschte den Vorwürfen eines Umweltministers aus einem EU-Land. »Die Projektionen zeigen, dass China, Indien und die anderen Schwellenländer ihren Kohlendioxidausstoß erhöhen, und zwar in einem Tempo, das hochgradig gefährliche Klimaveränderungen mit sich bringen wird. Tatsache ist, dass China bereits jetzt mehr Kohlendioxid ausstößt als die USA und Indien mehr als Deutschland.«

Er gehörte zu einer Gruppe aus Politikern und Unternehmern, die im Rahmen des WEF im Januar 2007 den Klimawandel diskutierten. Seine Aussagen über China, Indien und deren Kohlendioxidausstoß brachte er mit ganz neutraler Stimme vor, völlig emotionslos, als ob es sich bei seiner Sicht der Dinge um offensichtliche Fakten handelte.

Er ließ seinen Blick durch den verhältnismäßig kleinen Raum schweifen, in dem Europäer und Amerikaner auf der einen Seite des Tisches saßen und der Rest der Welt, einschließlich der Schwellenländer Indien und China, auf der anderen.

Der Vertreter Chinas blickte starr geradeaus, zog aber bei den Worten des EU-Ministers seine Schultern hoch und verkrampfte seinen Nacken. Der indische Abgesandte lehnte sich hingegen nach vorn und gab Handzeichen, um den Moderator auf sich aufmerksam zu machen.

Als ihm das Wort erteilt wurde, erhob er sich gemessen. In elegantem dunkelblauen Turban und dunkelgrauem Anzug blickte er sich im Saal um und sah schweigend der Reihe nach jeden einzelnen Abgesandten der anderen Länder an. Sein Blick ruhte besonders lange auf dem Geschäftsführer einer der größten Ölfirmen der Welt.
Der indische Abgesandte war einer der höchsten Beamten seines Landes mit langjähriger Erfahrung als Experte für die Weltbank und den Internationalen Währungsfonds.

Nach dieser kleinen Kunstpause wies er mit einer raumgreifenden Geste in Richtung der Seite des Tischs, an der die reichen Länder saßen.

»Sie waren es doch, die reichsten Länder, die uns in diese schwierige Situation gebracht haben! Sie haben jahrhundertelang mit Kohle geheizt und Öl verbraucht. Sie, und Sie allein, haben uns an den Rand ernster klimatischer Veränderungen gebracht«, sagte er und verstieß gegen den diplomatischen Verhaltenskodex, indem er mit lauter und anklagender Stimme sprach.

Plötzlich änderte er seine Körpersprache, legte die Handflächen zu einem indischen Gruß vor der Brust zusammen und verbeugte sich vor den schockierten Repräsentanten des Westens.

»Doch wir vergeben Ihnen, denn Sie wussten nicht, was Sie taten.«

Seine Worte waren fast nur ein Flüstern. Im Saal herrschte Schweigen, nur aus den hinteren Reihen ließ sich ein einzelnes Kichern vernehmen. Einige Personen lächelten unsicher.

Der Inder richtete sich wieder auf, starrte seine Opponenten an und hob den Zeigefinger.

»Aber ab sofort legen wir den Kohlendioxidausstoß pro Kopf zugrunde

Ich erinnere mich nicht an die Reaktionen im Saal, weil ich so beeindruckt von dem intellektuellen Scharfblick in der Argumentation des Inders war.
Ich war in den vorangegangenen Jahren entsetzt gewesen über die systematischen Schuldzuweisungen an China und Indien wegen des Klimawandels, die auf dem gesamten Ausstoß des betreffenden Landes basierten, denn sowohl China als auch Indien haben eine größere Bevölkerung als die einzelnen reichen westlichen Industriestaaten.
Ich hatte das schon immer für ein dummes Argument gehalten. Das wäre ja so, als wollte man behaupten, dass die Bevölkerung in China mehr mit Übergewicht zu kämpfen hätte als die in den USA, weil die zusammengerechnete Körpermasse aller Chinesen größer ist. Über den Kohlendioxidausstoß einzelner Staaten zu sprechen hilft nicht weiter, wenn derartig große Unterschiede in der Einwohnerzahl bestehen.
Dann könnte ein Land wie Schweden mit seinen neun Millionen Einwohnern praktisch so viel Kohlendioxid produzieren, wie es will, mit dem Argument, dass wir nur so wenige sind.

Was der Inder gesagt hatte, hatte mich schon seit einigen Jahren beschäftigt. Diskutieren die Staatenlenker wirklich auf diese Weise? Die Art, wie er gesprochen hatte, vermittelte mir den Eindruck: Jetzt kommen Veränderungen in Gang.

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Es macht Spaß, vor Unternehmen zu sprechen und sich darauf zu fokussieren, was jeweils für das betreffende Unternehmen relevant ist. Manchmal ergibt sich dabei auch die Möglichkeit, auf meine eigene Geschichte zurückzugreifen, auf meine Großmutter, die ihre Wäsche im Zementbottich wusch und von einer Waschmaschine träumte.

Electrolux hatte mich eingeladen, vor seinen Führungskräften einen Vortrag zu halten. Der Chef wollte, dass ich die demografische und ökonomische Entwicklung schilderte sowie den weltweiten Bedarf an Haushaltsgeräten wie Kühlschränken, Herden und Waschmaschinen.

Ich begann mit einer einfachen Darstellung der Verteilung von Einkommen und Gesundheit in der Welt, die zeigte, wie sich zuerst die Gesundheit der Menschen verbessert und das wirtschaftliche Wachstum nachgezogen hatte – dies erlaubt uns heute eine Prognose darüber, wie weit die Entwicklung auf der Grundlage hinlänglicher wirtschaftspolitischer Maßnahmen kommen kann.

»Vor allem Asien wird sich zu einem riesigen Markt entwickeln. Auch Lateinamerika und der Nahe Osten, aber Afrika wird hinterherhinken. Die großen, für Ihre Expansion relevanten Veränderungen spielen sich in Asien ab.«

»Was benötigt man dort?«, fragte jemand.

»Sie produzieren ja Elektroherde, doch vielerorts ist Gas billiger. Kühlschränke werden vermutlich das Erste sein, was gekauft wird, da sie in warmem Klima sinnvoll sind. Doch Sie stellen Produkte von hoher Qualität her, die teuer sind. Gebraucht werden kleine, billige Sachen, ich weiß nicht, wie Sie das sehen. Und was Waschmaschinen angeht, gibt es bisher noch keine Lösung – es existieren keine billigen Waschmaschinen.«“