Henry Kissinger Naturwissenschaft vs. Politik und Strategie

Viele Aktivisten, aktivistische Wissenschaftler behaupten ja gerne die Politik sei Wissenschaftsfeindlich.
A) diese Wissenschaftler sehen selber oft nur einen Teil des Bildes.
Beispiel Fliegen stoppen. –> Das ist das letzte und betrifft auch auf keinen Fall Deutschland.


B) Die Erklärung dazu fand ich in Henry Kissingers Buch; Staatskunst.
Wissenschaftler und Politiker müssen komplett anders handeln und entscheiden, Berufspolitiker sind auch primär ihrem Wähler verbunden, Beamte hingegen sind dem Volk verbunden, ein häufiger Irrglaube in der Bevölkerung über ihre gewählten Vertreter.

Hier die Stelle aus Kissingers Buch:

„Weil die Realität so komplex ist, unterscheidet sich die historische von der naturwissenschaftlichen Wahrheit.

Der Naturwissenschaftler sucht verifizierbare Ergebnisse;
Der historisch gebildete strategische Staatslenker bemüht sich, aus der Sache in ihr wohnenden Mehrdeutigkeit umsetzbare Erkenntnisse zu destillieren.
Wissenschaftliche Experimente stützen vorherige Ergebnisse oder werfen Zweifel auf.
Sie geben Naturwissenschaftlern die Möglichkeit, ihre Variablen anzupassen und ihre Versuche zu wiederholen.

Strategen der Politik bekommen gewöhnlich nur einen Versuch;
ihre Entscheidungen sind typischerweise unwiderruflich.
– Der Naturwissenschaftler erarbeitet sich Wahrheit, also experimentell oder mathematisch.
– Der Stratege arbeitet wenigstens teilweise mit Analogieschlüssen aus der Vergangenheit, indem er zunächst feststellt, welche Ereignisse vergleichbar sind und welche vorherigen Schlussfolgerungen relevant bleiben.

Selbst dann muss der Stratege die Analogien noch sorgfältig auswählen, denn niemand kann die Vergangenheit tatsächlich in allen Aspekten wahrnehmen; man kann sie sich nur im Mondlicht der Erinnerung vorstellen, so der niederländische Kulturhistoriker Johan Huizinga.

Sinnvolle politische Entscheidungen gehen selten auf eine einzelne Variable zurück; kluge Entscheidungen erfordern eine Mischung aus politischen, ökonomischen, geografischen, technischen und psychologischen Erkenntnissen, alle geprägt von einem historischen Instinkt.

Isaiah Berlin beschrieb gegen Ende des 20. Jahrhunderts
„die Unmöglichkeit, naturwissenschaftliches Denken jenseits der Naturwissenschaft“ anzuwenden.
(meine Privatmeinung:
Bei dem Satz Folge der Wissenschaft muss ich immer an die Wissenschaftler in 12 Monkeys, denken)

Er war der Ansicht, dass Anführer wie Romanautoren oder Landschaftsmaler das Leben in all seiner verwirrenden Komplexität in sich aufnehmen müssen:
„Was einen Menschen jedoch dumm oder weise, blind oder klug macht – statt kenntnisreich, gebildet oder wohlinformiert –, das ist die Fähigkeit, dieses einzigartige Gepräge einer ganz bestimmten, konkreten Situation mit ihren spezifischen Unterschieden wahrzunehmen.
Das, worin sie sich von allen anderen Situationen unterscheidet, also jene Aspekte, die sich einer wissenschaftlichen Behandlung entziehen.“

Quelle: Staatskunst, Henry Kissinger, 2022, Seite 15