Atomkraft Propaganda

Es gibt keine öffentlich einsehbare Liste, wer konkret welche Beiträge oder Kampagnen auf Social Media finanziert, wenn es um Pro-Atomkraft-Positionen geht. In der Regel ist Lobbying (also das gezielte Werben für eine bestimmte politische Haltung) in Deutschland nicht so transparent geregelt, dass man bei jedem Social-Media-Post genau zurückverfolgen könnte, von wem er bezahlt oder unterstützt wurde. Trotzdem lassen sich ein paar mögliche Akteure und Zusammenhänge nennen, die eine Rolle spielen könnten:

  1. Energieunternehmen:
    Auch wenn einige deutsche Energiekonzerne wie E.ON, RWE oder EnBW heute offiziell keine neuen Kernkraftwerke in Deutschland planen, haben sie historisch gesehen viel in Kernkraft investiert und können in manchen Bereichen noch wirtschaftliche Interessen rund um den Rückbau, den Betrieb der letzten Anlagen bis zur Abschaltung oder auch den Export von Know-how haben. Allerdings hat E.ON-Chef Birnbaum in der Tat mehrfach betont, dass in Deutschland „niemals wieder“ neue Atomkraftwerke gebaut würden. Das unterstreicht, dass zumindest E.ON selbst eher wenig Grund hätte, massiv für neue AKW in Deutschland zu werben.
  2. Internationale Nuklear-Lobby und Industrienetzwerke:
    Jenseits Deutschlands gibt es in anderen Ländern und auf EU-Ebene einflussreiche Akteure, die Kernenergie als wichtigen Bestandteil für die CO₂-freie Stromerzeugung betrachten. Unternehmen wie EDF (Frankreich) oder Westinghouse (USA) haben große wirtschaftliche Interessen daran, dass Atomkraft international attraktiv bleibt – sei es für Neubauten, Modernisierungen oder Brennstofflieferungen. Solche Unternehmen oder ihnen nahestehende Interessensgruppen unterstützen möglicherweise Kampagnen, die auch in deutschen sozialen Medien auftauchen (etwa durch gesponserte Beiträge oder PR-Agenturen), um allgemein pro-nukleare Argumente zu streuen.
  3. Thinktanks und (pseudo)wissenschaftliche Organisationen:
    Es gibt weltweit eine Reihe von Stiftungen, Vereinen und Thinktanks, die sich dem Ausbau von Kernenergie als Klimaschutzinstrument verschrieben haben. Beispiele sind einzelne Institute in den USA, in Frankreich oder in Großbritannien, die Studien zur „Klimafreundlichkeit“ der Kernenergie veröffentlichen und teils aktiv über Social Media verbreiten. Diese Institutionen finanzieren sich oft aus Spendengeldern aus der Industrie, von bestimmten privaten Stiftern oder anderen Lobbyverbänden.
  4. Einzelpersonen und Graswurzel-Initiativen:
    Nicht immer steckt eine finanzielle Unterstützung im Hintergrund. Es gibt durchaus Privatpersonen, die aus Überzeugung pro-Kernkraft auftreten und ihre Argumente in sozialen Medien verbreiten. Insofern ist nicht jede Stimme für Atomkraft automatisch „Propaganda“, die von großen Geldgebern gelenkt wird – sie kann auch Ausdruck einer persönlichen politischen oder ökologischen Überzeugung sein (z. B. „Atomkraft als Klimaschutz“).
  5. Politische Akteure:
    Auf EU-Ebene oder innerhalb einzelner Parteien in Deutschland gibt es unterschiedliche Positionen zur Kernenergie. Manche Parteien – insbesondere im konservativen oder wirtschaftsliberalen Spektrum – stehen der Kernenergie offener gegenüber und könnten in ihren Kanälen entsprechende Botschaften verbreiten oder befürworten. Allerdings ist dieser Einfluss üblicherweise recht direkt als parteipolitische Position erkennbar und nicht immer „versteckt“ oder „getarnt“.

Warum überhaupt Pro-Atomkraft-Kampagnen in Deutschland, obwohl ein Wiedereinstieg extrem unwahrscheinlich ist?

  • Meinungsbildung über nationale Grenzen hinweg: Auch wenn Deutschland aussteigt, bleibt die Debatte in Europa und weltweit hochaktuell (etwa im Kontext der EU-Taxonomie oder dem Ausbau neuer Reaktoren in Osteuropa, Frankreich oder Großbritannien). Deutschland ist ein wichtiger Meinungsmarkt, sodass eine starke Anti-Atom-Haltung hier unter Umständen auch Europas Atomstrategie beeinflussen kann.
  • Öffentlicher Klimadiskurs: Die Atomkraft wird von manchen Klimaschützerinnen und Klimaschützern als klimaneutrale Technologie angesehen. Um die öffentliche Debatte zu prägen („Kernkraft ist sicher und klimafreundlich“), könnte es für internationale Akteure sinnvoll sein, den deutschen Social-Media-Raum nicht einfach auszublenden.
  • Zukünftige Technologien: Manche Unternehmen und Lobbyorganisationen verweisen auf sogenannte „neue Reaktortypen“ (SMR – Small Modular Reactors, Thorium-Reaktoren, Fusionsprojekte etc.). Selbst wenn große konventionelle AKW in Deutschland nicht mehr gebaut werden, könnten solche Projekte irgendwann – zumindest aus Sicht der Befürworter – wieder eine Rolle spielen. Wer proaktiv für eine „Renaissance“ der Kernenergie wirbt, bereitet also möglicherweise auch künftige Marktchancen vor.

Insgesamt ist es oft schwierig, verlässlich herauszufinden, wer hinter konkreten Social-Media-Kampagnen steckt. Meistens sind es Branchenverbände, internationale Lobbygruppierungen oder Thinktanks, die finanzielle Interessen und/oder ideologische Überzeugungen haben. E.ON oder RWE selbst haben zurzeit wenig Anreiz, explizit für neue deutsche Atomkraftwerke zu trommeln, da sie die politischen Realitäten kennen und selbst andere Geschäftsfelder in den Vordergrund stellen (erneuerbare Energien, Netzausbau, Wasserstoff etc.).

Fazit:

  • Eine pauschale Antwort „Wer bezahlt die ganze Atomkraft-Propaganda?“ ist kaum möglich, weil unterschiedliche Akteure – von internationalen Konzernen über Lobbyorganisationen bis zu Privatpersonen – ein Interesse daran haben können, pro-nukleare Positionen zu verbreiten.
  • In Deutschland selbst ist ein Neubau von Atomkraftwerken politisch und wirtschaftlich so gut wie ausgeschlossen. Die Propaganda bzw. Werbung dafür speist sich daher häufig aus internationalen, eher allgemeinen Pro-Kernkraft-Kampagnen oder von kleineren Gruppierungen, die aus Überzeugung auf Atomkraft setzen.
  • Die Motive dahinter können wirtschaftlicher, politischer oder ideologischer Natur sein. E.ON und andere deutsche Energiekonzerne spielen derzeit in der öffentlichen Pro-AKW-Werbung nur eine untergeordnete Rolle, weil sie den deutschen Atomausstieg weitgehend akzeptiert (oder schlicht als Realität anerkannt) haben und ihr Geschäftsmodell inzwischen stark auf erneuerbare Energien und andere Technologien ausrichten.