Zen Lehrer Wolfgang Walter und Prof. Dr. Hans-Peter Dürr im Gespräch

Hier ist das möglichst originalgetreue Transkript des Gesprächs zwischen Hans-Peter Dürr und dem Zen-Lehrer:


Gespräch zwischen Hans-Peter Dürr und einem Zen-Lehrer

Hans-Peter Dürr:
Also die Frage ist ja immer: Wie können wir sechseinhalb Milliarden Menschen überzeugen, dass sie eine andere Richtung einschlagen sollen?
Dass sie also zu einem anderen Bewusstsein kommen wollen?

Und da kann man sehr pessimistisch sein, wenn man sagt:
„Die Leute sind zu dumm.“ – Das glaube ich überhaupt nicht.
Da gibt es eben auch Verzerrungen, ja?

Es gibt dieses tibetische Sprichwort, das sagt:
Ein Baum, der fällt, macht mehr Lärm als ein Wald, der wächst.“

Und wir müssen sehen:

Unsere ganzen Geschichtsbücher reden von fallenden Bäumen, ja?
Und was wir täglich erleben, sind fallende Bäume.

Wir fragen uns:

Warum existieren wir überhaupt noch, wenn wir so fahrlässig und dumm umgehen?
Der Grund ist:

Weil keiner sieht, dass wir existieren, weil der Wald wächst.

Wir Menschen – und übrigens auch alle anderen Lebewesen – sind nicht hier, weil wir so vieles falsch gemacht haben, sondern weil der wachsende Wald uns trägt.

Aber über fallende Bäume lässt sich natürlich in der Presse viel besser schreiben. Sensationeller berichten.

Man spricht über die Extreme, über Terrorismus, über Chaos, über Katastrophen. Das sind letztendlich nur Randgeschichten.
Aber das wirklich Entscheidende, das Wachstum im Hintergrund, das bekommt keine Beachtung.

Weil es zu langsam geht.
Und dann sagen die Leute:

Es kann nicht wichtig sein, wenn es langsam geht.“

Aber genau diese Langsamkeit der Entwicklung führt zu Stabilität!
(Exponential Kurven sind also nicht gut!)

Alles, was schnell geht, ist instabil.
Und wir sehen das heute überall: Die großen „Leistungsträger“ in unserer Gesellschaft sind oft diejenigen, die mit wenig Aufwand viel in Bewegung setzen.

Aber wenn man genau hinschaut, sind es Leute, die einfach wissen, wo Schneefelder sind, die nass sind – da laufen sie rein, und dann löst einer nach dem anderen eine Lawine aus.

Und wir klatschen noch dazu und sagen:

„So ein kleiner Mann bringt so viel in Bewegung! Er ist der Leistungsträger der Nation!“

Und das ist ganz wichtig.


Hans-Peter Dürr:
Man soll in diesem Zusammenhang auch ruhig sagen:
Der wachsende Wald – das ist eigentlich das, was wir unseren Frauen zu verdanken haben.

Die im Hintergrund, trotz aller Katastrophen, immer wieder am wachsenden Wald gearbeitet haben.
Die diese mühselige Arbeit geleistet haben.

Wenn man das im Kopf hat, dann sagt man:
Wir brauchen nicht so pessimistisch sein – auch wenn die Schlagzeilen alle schrecklich sind.

Wir können davon ausgehen, dass die Mehrheit der Menschheit immer noch auf dem richtigen Weg ist.
Und sie kann noch nicht so lange in die falsche Richtung gegangen sein – sonst wären wir nicht hier.


Zen-Lehrer:
Ja. Ich glaube, dieses weibliche Element, das du gerade angesprochen hast – dieses empfangende, aufnehmende – ist ein ganz wesentlicher Teil.

Und ich glaube, das ist etwas, was wir Männer lernen müssten.
Diese andere Seite:

  • Aufnahmefähig werden.
  • Die Dinge auf sich zukommen lassen.
  • Nicht ständig eingreifen und sagen:
    „Nein, nein, das passt mir nicht in mein Konzept.“

Das Yang ist das Aktive, das Antreibende.
Das Yin ist das Empfangende, das Umfassende.

Wenn das Yang das Yin überwältigt, und nicht dem Ganzen die Zeit gibt, sich zu entfalten, dann ist das kein Fortschritt in der Entwicklung des Lebendigen.

Aber ich meine, in diesem Punkt bin ich eigentlich optimistisch, dass wir dort ansetzen können.


Hans-Peter Dürr:
Ja, aber ich bin nicht so optimistisch, wenn es um unsere spezielle westliche Zivilisation geht.

Wir sagen oft: „Die Menschen sind so und so.“
Aber wenn man in der Welt herumgekommen ist, dann hat man den Eindruck, dass es fünf Milliarden Menschen gibt, die noch nicht so weit sind wie wir – dass sie die Welt so eng sehen, dass wir verdammt sind die Welt/Menschheit zugrunde richten.

Viele haben noch ihre Instinkte, noch ihre Fähigkeit zur Versenkung, noch die Fähigkeit, Weisheit aus dreieinhalb Milliarden Jahren Evolution zu schöpfen.

Und das müssen wir unterstützen.

Wir sind einfach zu kompliziert geworden.


Zen-Lehrer:
Ja. Rinzai, der große chinesische Zen-Meister, hat mal gesagt:

„Werde ein einfacher Mensch.“

Das heißt nicht, dass man dumm sein soll.
Sondern es heißt:

Komm runter.

  • Komm raus aus deinem Kopf.
  • Spüre dich.
  • Nimm dich wahr, so wie du bist.
  • Erlebe dich.

Man kann 100 Bücher schreiben über den Geschmack von Tee – aber wenn man ihn nicht schmeckt, weiß man trotzdem nicht, wie er ist.


Hans-Peter Dürr:
Ja. Und ich meine, diese Kompliziertheit…

Die Leute sagen heute: „Die Welt ist so komplex geworden!“

Nein. Die Welt war immer komplex.

Denn alles, was zusammenhängt, ist komplex.

Warum erscheint sie uns dann kompliziert?

Weil wir Komplexität als etwas verstehen, das wir auseinandernehmen müssen.
Und dann haben wir lauter kleine Rädchen und Stellschrauben, die wir einzeln drehen müssen.

Aber warum schauen wir nicht einfach auf das Ganze?

Warum nehmen wir es nicht auf, als Ganzes?

Denn wir haben diese Fähigkeit!
Wir können ganzheitlich agieren.

Aber uns wird immer wieder trainiert:
„Mach deine Fingerspitzenarbeit, sei Spezialist, drücke die richtige Taste.“


Hans-Peter Dürr:
Die Vorstellung, dass wir auf dem Weg in eine Wissensgesellschaft sind – ist eigentlich falsch.

Wir sind auf dem Weg in eine Datensammlungsgesellschaft.

Wir sammeln so genanntes Wissen – aber Wissen ist nur Wissen, wenn wir damit umgehen können!

Wenn wir es verdauen.

Was bedeutet Verdauen?

Dass wir es in eine Form überführen, die nicht mehr aus lauter einzelnen Fragmenten besteht, sondern zu etwas Ganzem wird.

Etwas, das uns erlaubt, mit Weisheit den nächsten Schritt zu machen.


Zen-Lehrer:
Ja, aber die Frage ist:

Wie kommen wir an diese Weisheit heran?

Denn Weisheit hat immer mit Erfahrung zu tun.

Jede Religion gründet letztlich auf mystischen Erfahrungen.

Diese wurden dann in Dogmen gegossen und zu Glaubenssätzen formuliert.

Aber im Ursprung war es eine persönliche, direkte Erfahrung.


Hans-Peter Dürr:
Ja. Und auch die Quantenphysik zeigt uns doch, dass wir nichts wirklich verallgemeinern können.

Wir brauchen kleinere Gemeinschaften, in denen Erfahrung wirklich lebendig wird.

Wir haben eine falsche Vorstellung davon, dass wir die Welt komplett erfassen können.
(Selektive Wahrnehmung nach A. v. Hayek)

Unsere Sinne sind beschränkt.
Unsere Wahrnehmung ist begrenzt.

Wir können die Wirklichkeit nie ganz erfassen – sondern nur in dem Rahmen, den unser Bewusstsein uns erlaubt.


Ende des Gesprächs.