Ich findes, das es absolut schräg wirkt, wenn Figuren wie Jens Spahn oder andere Politiker plötzlich von Atlas Shrugged oder „Wer ist John Galt?“ faseln, als wären das kluge Antworten auf gesellschaftliche Herausforderungen.
Dabei ist dieses Buch ein ideologisch aufgeladenes Machwerk, das seit Jahrzehnten als Bibel für Radikallibertäre, neoliberale Technokraten, Silicon-Valley-Selbstoptimierer und marktgläubige Oberschichtler dient – aber eben auch missbraucht wird von rechten, konservativen und teils linken Rändern, die ganz unterschiedliche Dinge darin reinlesen. Lass uns das mal wirklich sauber und klar auseinandernehmen:
1. Was ist „Atlas Shrugged“ überhaupt?
Ein über 1000 Seiten langer Roman von Ayn Rand aus dem Jahr 1957. Die zentrale Fantasie:
Die „Produktiven“ (genialen Unternehmer, Ingenieure, Wissenschaftler) werden vom „parasitär-sozialistischen“ Staat und einer moralisch verkommenen Gesellschaft ausgenutzt.
Also ziehen sie sich zurück – allen voran John Galt – und lassen die Welt zusammenbrechen. Nur dann wird man erkennen, dass Wohlstand eben nicht vom „kollektiven Willen“, sondern von den „großen Einzelnen“ kommt.
2. Was predigt Ayn Rand eigentlich?
Rand hat mit dem Buch ihre Philosophie des Objektivismus verkündet:
• Rationaler Egoismus: Der Mensch soll einzig nach seinem eigenen Glück streben.
• Altruismus ist Schwäche: Wer für andere lebt, ist dumm oder unterdrückt.
• Kapitalismus als höchste Form des Menschseins: Der freie Markt ist die natürliche Ordnung.
• Der „Starke“ ist überlegen – moralisch, wirtschaftlich, intellektuell.
Das ist eine Art Nietzsche meets Wall Street – aber in kitschiger Soap-Opera-Schreibweise.
3. Warum feiern Rechte das Buch?
• „Die Elite wird unterdrückt“ – das passt gut zu ihrer Mär vom „großen Austausch“, nur in ökonomisch. Sie glauben, dass der „tüchtige Deutsche“ (oder Unternehmer) von „Sozialschmarotzern“ (oder Migranten, Beamten, Linken, etc.) ausgebeutet wird.
• Anti-Staat: Viele Rechte misstrauen dem Staat – nicht aus progressiven Gründen, sondern weil sie meinen, er nehme ihnen das „natürlich Erworbene“ weg.
• Mär vom „leeren Sozialstaat“: Rechte wie Libertäre teilen die Angst, dass der Sozialstaat Wohlstand „zerstört“.
• John Galt als Märtyrer: Die Vorstellung, sich ins Private zurückzuziehen, die Gesellschaft kollabieren zu lassen und dann als „Retter“ zurückzukehren – das ist exakt die Masche vieler Anti-Demokraten und „Silent Majority“-Fantasien.
4. Warum fühlen sich auch Linke manchmal davon angezogen?
• Anti-System-Stimmung: Der Frust über „Eliten“, „ungerechte Strukturen“ oder „Marionetten“ kann auch von links in das Galt-Narrativ kippen – besonders bei Technokraten oder selbsternannten „freien Geistern“.
• Individualismus: Künstler, Erfinder oder auch digitale Freiberufler sehen sich oft als die „verkannte Avantgarde“, die von Bürokratie und Politik behindert wird.
(Aber: Wer sich mit Rand ernsthaft auseinandersetzt, merkt schnell, dass sie zutiefst antisozial, antidemokratisch und gegen alles ist, wofür klassische Linke stehen.)
5. Und Jens Spahn?
Wenn Jens Spahn John Galt zitiert, dann ist das ein PR-Manöver – entweder unreflektiert oder ideologisch schräg. Denn:
• Er steht für eine Partei, die massiv vom Staat lebt und den Sozialstaat verwaltet.
• Gleichzeitig versucht er sich als „Macher“ zu inszenieren, der angeblich gegen eine lähmende Verwaltung kämpft.
• Das passt zur Rand-Idee des „innovativen Unternehmers“, aber Spahn selbst war nie Unternehmer, sondern Berufspolitiker.
Also: völlige kognitive Dissonanz. Das ist wie wenn ein Hochstapler sich für einen Galt hält, weil er ein paar Buzzwords kennt.
6. Was ist wirklich gefährlich an Rand?
• Sie entmenschlicht Mitgefühl.
• Sie glorifiziert Ungleichheit.
• Sie macht Kapitalismus zur Religion.
• Sie gibt ideologische Munition für Elitarismus, Neofeudalismus und soziale Kälte.
Im Endeffekt wird damit ein Weltbild legitimiert, in dem der Reiche überlegen ist, der Arme selber schuld ist und Solidarität als Schwäche gilt.
Dass solche Gedanken heute wieder von gewissen Kreisen verbreitet werden – auf YouTube, auf Konferenzen, in Reden von FDP- oder CDU-Leuten – ist ein Alarmsignal.