
Dossier: Putins Angriff auf Deutschland – Desinformation, Propaganda, Cyberattacken
Kapitel 1: Russlands Weg in den Krieg
Im ersten Kapitel zeichnen die Autoren nach, wie Russland unter Wladimir Putin vom scheinbaren Partner zum aggressiven Gegner des Westens wurde. Putin hatte 2001 im Bundestag noch Freundschaft bekundet, doch seit spätestens 2014 führt Russland einen hybriden Krieg gegen den Westen, insbesondere gegen die Ukraine und mittelbar auch gegen Deutschland. „Hybrider Krieg“ bedeutet, dass neben militärischer Gewalt auch Desinformation, Propaganda, Cyberattacken und nukleare Drohungen als Waffen eingesetzt werden (S. 18–19). Putins anfängliches Image eines Reformers und „lupenreinen Demokraten“ (Gerhard Schröder) wandelte sich zum Bild eines rücksichtslosen Imperialisten, der die alte Größe des Zarenreichs wiederherstellen will, um seine Macht zu sichern. Gegner schaltete er aus oder ließ sie ermorden. Der Vertrauensbruch vollzog sich schrittweise: Putin reagierte auf Ereignisse wie die Terroranschläge von 9/11 (wo er noch kooperierte) und später die Orange Revolution in der Ukraine (2004) und NATO/Osterweiterung zunehmend konfrontativ. Spätestens mit den Kriegen in Georgien 2008 und der Annexion der Krim 2014 kehrte Russland zu einer aggressiven Großmachtpolitik zurück. Seitdem herrscht in Russland de facto Kriegsmodus, mit Kriegswirtschaft und Propaganda, was die Autoren als „Rückfall in den Imperialismus“ bezeichnen.
Die Anfälligkeit des Westens – besonders Deutschlands – für diese Entwicklung erklären die Autoren mit Naivität und Wunschdenken der 1990er/2000er: Man glaubte an „Wandel durch Annäherung“ und übersah Warnungen vor Putins wahrem Kurs. So hatte z.B. der estnische Präsident Meri bereits 1994 vor Appeasement gegenüber Moskau gewarnt, doch westliche Politiker (darunter ein junger Putin selbst) wiesen solche Mahnungen empört zurück. Deutschland und Europa wollten lange nicht wahrhaben, dass Putin sich von einem pragmatischen Partner zu einem revanchistischen Autokraten entwickelt hatte. Putins KGB-Prägung bedeutete von Anfang an, dass Lügen, Täuschung, Manipulation, Gewalt und Mord zu seinem Werkzeugkasten gehören – und genau diese Methoden wendet er nun auch international an, um Demokratien zu destabilisieren.
Kapitel 2: Propaganda und die sowjetische Erfindung der Desinformation
Dieses Kapitel beleuchtet die historischen Wurzeln von Desinformation und Propaganda in Russland. Desinformation ist keine neue Erfindung der Putin-Ära – sie wurde im Kalten Krieg vom KGB systematisiert und perfektioniert. Schon 1922 richtete die Sowjetregierung eine zentrale Zensurbehörde („Glawlit“) ein, die über 60 Jahre lang Medien kontrollierte und indoktrinierte. In den 1950er-Jahren prägte der KGB den Begriff „Dezinformatsiya“ (Desinformation). Laut der Großen Sowjetischen Enzyklopädie von 1952 wird Desinformation definiert als „Verbreitung […] unwahrer Informationen mit dem Ziel, die öffentliche Meinung irre zu führen“ – allerdings unter der zynischen Behauptung, vor allem die kapitalistischen Medien würden diese Taktik einsetzen (S. 52). Diese sowjetische Definition war selbst Desinformation, da sie die eigene Täuschungsstrategie den Westmedien in die Schuhe schob. Tatsächlich betrieb die UdSSR offensiv Desinformationskampagnen und richtete 1959 im KGB eine eigene Abteilung D dafür ein.
Die Autoren zeigen, dass die Sowjetunion Desinformation strategisch als Waffe einsetzte, parallel zu Propaganda. Unter dem Begriff „aktive Maßnahmen“ führte der KGB sowohl offene Propaganda (z.B. internationale Frontorganisationen wie das World Peace Council) als auch verdeckte Aktionen (Nachrichtenfälschungen, Unterstützung von Extremisten) durch. Typisch für sowjetische Desinformation war das Beimischen von etwas Wahrheit in Lügen, um sie glaubwürdiger zu machen – das sogenannte „Prinzip 60/40“ (60 % wahr, 40 % falsch) wurde schon damals praktiziert. So waren z.B. in den 1980er-Jahren Verschwörungsmythen wie die vom von der CIA erfundenen AIDS-Virus (Operation „Infektion“) ein gemeinsames Werk von KGB und DDR-Stasi. Jahrzehntelang gaben die Ost-Geheimdienste enorme Summen aus, um in Westdeutschland Stimmung zu machen – oftmals unbemerkt. Schon im Kalten Krieg griffen russische Kampagnen Themen auf, die auch heute noch verbreitet werden, z.B. „die Krise des Westens“, „die aggressiven USA/NATO“ oder „drohende faschistische Umtriebe in Deutschland“. Diese Narrative wurden gezielt gestreut, um Friedensbewegungen in Westeuropa zu beeinflussen und einen Keil in die Gesellschaften zu treiben.
Deutschland war schon damals Hauptziel sowjetischer Propaganda: Westdeutsche Protestbewegungen (z.B. gegen die NATO-Nachrüstung Anfang der 1980er) wurden von KGB und Stasi mit Desinformation und sogar finanzieller Unterstützung beeinflusst. Ein berüchtigtes Beispiel ist der „Fall Franz Josef Strauß“ in sowjetischen Medien, wo westdeutsche Politiker als „Hitlers Erben“ diffamiert wurden, um Angst vor einem neuen deutschen Angriffskrieg zu schüren. Die Autoren betonen, dass solche historischen Muster sich heute fast nahtlos fortsetzen: „Russische Desinformation hat speziell in Deutschland eine lange Tradition“, und erstaunlich viele dieser alten Narrative („dekadenter Westen, NATO zerfällt, faschistische Umtriebe“) finden sich in Putins heutigem Informationskrieg wieder.
Kapitel 3: Internet und soziale Netzwerke – das neue Spielfeld für russische Propaganda
Mit dem Aufkommen des Internets und sozialer Netzwerke hat sich das Spielfeld der Propaganda fundamental verändert. Die Autoren zeigen, dass Russlands Manipulationen zwar auf altbekannten Narrativen basieren, diese aber an die neuen medialen Gegebenheiten angepasst wurden. Ohne das Internet und Social Media kann man die heutige Kreml-Propaganda nicht verstehen – Moskau nutzt dieses neue Spielfeld meisterhaft aus (S. 62).
Frühe Internetpioniere hofften auf eine demokratische Medienrevolution, doch das Gegenteil trat ein: Einige wenige große Plattformen (Facebook/Instagram/WhatsApp, YouTube/Google, Twitter etc.) dominieren den Informationsfluss und Algorithmen filtern personalisiert, was Nutzer zu sehen bekommen. Die Autoren erklären anschaulich, wie Social-Media-Mechanismen Propaganda begünstigen:
- Micro-Targeting: Soziale Medien finanzieren sich über Werbung, die dann am effektivsten ist, wenn sie genau zugeschnitten wird. Diese Logik wird von Propagandisten fast 1:1 übernommen. Durch riesige Datensätze über Nutzer können hochindividualisierte Botschaften verbreitet werden. Das Internet, einst als demokratisierende Informationstribüne gefeiert, hat sich in ein „manipulierbares System“ verwandelt, das der Kreml gnadenlos ausnutzt (S. 64).
- Algorithmische Verstärkung: Likes, Shares, Trends – all diese Funktionen priorisieren bestimmte Inhalte. „Falschmeldungen verbreiten sich signifikant schneller als richtige“, so ergab eine MIT-Studie: Politische Fakes erreichten 20.000 Personen fast dreimal so schnell wie echte Nachrichten. Der Grund: Empörende oder einfache Lügen werden häufiger geteilt. Diese „viral“ gehenden Inhalte sorgen für einen „Tsunami der Lügen“, der die Wahrheit überschwemmt. Social-Media-Algorithmen schaffen auch Filterblasen: Suchmaschinen und Empfehlungssysteme zeigen Nutzern bevorzugt das, worauf sie ohnehin ansprechen. Wer z.B. schon nach „Russia Ukraine Lügen“ gesucht hat, dem werden verstärkt prorussische Verschwörungsinhalte angeboten. So verfestigen sich extreme Ansichten.
- Trends und Koordinierung: Russische Propagandisten manipulieren sogar globale Trends. Durch massenhaftes Posten mit koordinierten Hashtags können Themen künstlich nach oben gespült werden. Auch setzen sie Bots und Troll-Armeen ein, um z.B. auf Twitter (X) Debatten zu verzerren. Seit Anfang der 2010er-Jahre hat Moskau eigens solche Instrumente geschaffen – ganze „Trollfabriken“ (wie die Internet Research Agency) und automatisierte Bot-Netzwerke, um Stimmung zu machen.
Ein wichtiger Punkt ist, dass Desinformation in sozialen Netzwerken oft in geschlossenen Räumen stattfindet – etwa Telegram-Gruppen oder Nischenplattformen. Inhalte aus solchen Kanälen können dann in den Mainstream durchsickern. Die Autoren merken an, dass leider Vertreter großer Plattformen (Facebook, TikTok etc.) für das Buch keine Stellung nehmen wollten. Das illustriert, wie unzureichend kooperativ Tech-Konzerne teils noch sind. Insgesamt zeigt Kapitel 3, dass die Digitalisierung der perfekte Brandbeschleuniger für Propaganda ist: „Technologie, Design-Entscheidungen und Profitmaximierung schaffen ein manipulierbares System“, in dem falsche Informationen extrem effektiv und schnell Millionen erreichen (S. 64–65). Der Kreml hat diese Mechanismen früh erkannt und für sich instrumentalisiert.
Kapitel 4: Die Akteure – eine Krake, viele Tentakel
Hier werden die wichtigsten Drahtzieher und Strukturen von Putins Informationskrieg vorgestellt. Die Autoren beschreiben ein „komplexes Geflecht aus Personen, Institutionen, privaten Firmen und Geheimdiensten“, das meist im Verborgenen agiert (S. 77). Dieses Geflecht funktioniert wie eine Krake mit vielen Tentakeln – scheinbar unabhängige Akteure, die aber zentral vom Kreml gesteuert werden. Die wichtigsten Akteursgruppen sind:
- Kremlführung: An der Spitze steht Putin selbst und seine Präsidialverwaltung. „Steuerung ist Chefsache.“ Putins Propagandachef Alexej Gromow (Erster Vize-Leiter der Präsidialverwaltung) koordiniert die staatlichen Medien strikt nach Kreml-Linie. Er gibt in regelmäßigen Meetings mit Medienmachern sogenannte „Metoditschki“ (Leitfäden) heraus, die festlegen, worüber berichtet wird und wie. Sergej Kirijenko, ebenfalls Vize der Präsidialverwaltung, ist seit 2022 hauptverantwortlich für Propaganda- und Einflusskampagnen im Ausland, speziell in Europa (Deutschland und Frankreich). Sein Team überwacht die Medienlandschaft in EU-Ländern und lanciert Social-Media-Kampagnen, um Meinungen gegen die Ukrainehilfe zu beeinflussen. Diese beiden – Gromow und Kirijenko – nennt man die „Spinnen im Netz“ der Kreml-Informationspolitik.
- Staatsmedien: 2005 startete Russland den Auslands-TV-Sender RT (Russia Today), später kam die Nachrichtenagentur Sputnik hinzu. Diese dienen als „Waffen im hybriden Krieg“, keine normalen Medien. Chefredakteurin Margarita Simonjan (RT) und Dmitri Kisseljow (Agentur Rossija Sewodnja) haben den medialen Auftritt des Regimes modernisiert – laut, hip, grell, voll Action, oft schneller als westliche Medien. Gleichzeitig verbreiten sie ungehemmt Lügen und Verschwörungstheorien. Russische Talkmaster wie Wladimir Solowjow prahlen im Fernsehen sogar mit der Aussicht, die Welt „zu Staub zu machen“ (in einem Atomkrieg) – das Publikum lacht jovial darüber. RT DE (der deutsche Ableger) wurde 2014 gegründet und avancierte schnell zum Leitmedium für Kreml-Narrative in Deutschland. Es bot Regierungskritikern von Pegida bis AfD und Impfgegnern eine Bühne und stellte die deutsche Regierung permanent als inkompetent dar. Nach dem Verbot von RT DE wichen russische Medien auf Tricks aus – z.B. „Ruptly“ in Berlin (ein RT-Ableger) oder „Redfish“, um weiter Inhalte zu verbreiten. Zudem nutzt die russische Botschaft und das „Russische Haus“ in Berlin (eine vom Kreml finanzierte Kulturinstitution) ihre Plattformen, um Propaganda in Deutschland zu streuen.
- Geheimdienste und Cyber-Akteure: Die russischen Nachrichtendienste GRU (Militärgeheimdienst), SVR (Auslandsgeheimdienst) und FSB (Inlandsgeheimdienst) spielen eine aktive Rolle. Spezielle Cyber-Einheiten führen Hacking-Angriffe durch – z.B. die FSB-Gruppe „Star Blizzard“, die britische Abgeordnete hackte. Nach Beginn des Ukrainekriegs 2022 wurden zwar Hunderte russische Spione aus westlichen Ländern ausgewiesen, aber Moskau ersetzte verlorene Agenten schnell und agiert nun noch aggressiver. So gilt der Tiergarten-Mord 2019 in Berlin (an einem tschetschenischen Exilanten) als Vorbote härterer Methoden auch auf deutschem Boden. Westliche Sicherheitsorgane beobachten inzwischen vermehrt Einflussoperationen im Informationsraum, also hybride Aktionen der Dienste (Spionage + Desinfo). Die Autoren betonen, dass die Ausweisung von Spionen keineswegs die Bedrohung mindert, sondern Russland teils noch rücksichtsloser agiert.
- „Kremlnahe“ Oligarchen und Frontorganisationen: Jewgeni Prigoschin (Chef der Wagner-Söldner und Financier der Trollfabrik IRA) war bis zu seinem Tod 2023 der bekannteste Oligarch im Dienst Putins. Ein weiterer wichtiger Akteur ist Konstantin Malofejew, ein ultrakonservativer Oligarch, der eine eigene „Troll-Farm“ finanziert. Malofejew vernetzt rechte und religiöse Extremisten aus Russland und Europa – er lud 2014 europäische Rechtsradikale (u.a. AfD-Politiker wie Alexander Gauland) nach Wien ein, um gemeinsame Sache zu machen. Solche Netzwerke zwischen russischen Einflussnehmern und europäischen Extremisten bilden wichtige Kanäle. Die Microsoft-Analyse DTAC hat ein Schaubild zentraler Agenten erstellt: Darauf finden sich vermeintlich unabhängige Plattformen, die jedoch von GRU, SVR, FSB oder mit Geld von Oligarchen betrieben werden – z.B. „One World Think Tank“ (verbreitet prorussische Narrative auf Englisch), die vom SVR gesteuerte „Strategic Culture Foundation“ (sogar von den USA sanktioniert wegen US-Wahlbeeinflussung 2020) oder das FSB-nahe Portal „News Front“, das auch auf Deutsch Desinformation publiziert. Viele dieser Akteure tarnen sich geschickt: Offiziell sind es „unabhängige“ Blogger oder Vereine, tatsächlich sind sie Verstärker des Kremls. Ein Beispiel: der Blog „The Saker“ eines US-Amerikaners, der stramm pro-Kreml veröffentlicht, ohne direkt vom Kreml bezahlt zu sein. Durch solche Proxies verwischt Moskau die Spuren.
Die Quintessenz von Kapitel 4: All diese Akteure arbeiten orchestriert zusammen. Westliche Beobachter dürfen nicht den Fehler machen, die vielen Einzelfälle losgelöst zu betrachten. Es handelt sich um einen „zentral gesteuerten Organismus“, dessen übergeordnetes Ziel Putins Machtsicherung, der Sieg über die Ukraine und die Schwächung des Westens ist. Die russische Krake hat viele Tentakel – aber einen Kopf im Kreml.
Kapitel 5: Wie funktioniert Putins Informationskrieg?
Nachdem Kapitel 4 die Mitwirkenden vorstellte, beschreibt Kapitel 5 die Methoden und Mechaniken dieses Informationskrieges im Detail. Es wird deutlich: Putins Propaganda verbindet traditionelle KGB-Tricks mit neuen digitalen Möglichkeiten. Die Autoren nennen eine Reihe typischer Taktiken, teils mit anschaulichen Namen:
- Der „faule Hering“: Eine Person wird durch wiederholte Verleumdungen mit einem „üblen Geruch“ behaftet. Ziel ist nicht, die Vorwürfe zu beweisen, sondern den Diskurs so zu verschieben, dass beim Namen dieser Person sofort negative Assoziationen auftauchen. Beispiel: Alexej Nawalny wurde jahrelang mit Gerichtsverfahren als Krimineller diffamiert, sodass seine eigentlichen Anliegen (gegen Korruption, für Demokratie) überlagert wurden.
- Die „große Lüge“: Eine noch weit drastischere Falschbehauptung, so ungeheuerlich, dass sie hängen bleibt. Hier geht es um maximale Empörung. Als Beispiele nennen die Autoren den (erfolglosen) „Pizzagate“-Vorwurf gegen Hillary Clinton 2016, oder Putins Narrativ, die ukrainische Führung bestehe aus Nazis. Obwohl Präsident Selenskyj Jude ist, hat die ständige Wiederholung des „Naziregime“-Vorwurfs im Ausland bei manchen verfängt und sollte die Ukraine delegitimieren.
- Das „Prinzip 60:40“: Bereits erwähnt – Propagandisten mischen 60 % Wahrheit mit 40 % Lüge, um Vertrauen zu erschleichen. Diese Technik (angeblich von Goebbels inspiriert und vom KGB übernommen) macht Lügen glaubhafter, weil sie an reale Gegebenheiten andocken. Ein Beispiel im Buch: Nach einem Terroranschlag in Moskau 2024 behauptete FSB-Chef Bortnikow, islamistische Täter seien „durch westliche und ukrainische Geheimdienste ermöglicht“ worden – eine typische 60:40-Geschichte aus etwas realem Terror plus zugedichteter westlicher Mitschuld.
- „Anekdotische Evidenz“: Ein Einzelfall wird zum Massenphänomen aufgebauscht. So zeigte russische Propaganda 2022 ein Video einer alten Frau, die russische Soldaten mit Sowjet-Fahne begrüßte – und behauptete, alle Ostukrainer hießen die Invasion willkommen. Oder man nimmt ein tatsächliches Vorkommnis (z.B. Einwandererkriminalität) und stellt es als allgegenwärtig dar, um Stimmung zu machen.
- Pauschale Diffamierung: Gegner werden mit Schlagworten verunglimpft. Russische Stellen reden z.B. ständig von der „Kyjiwer Nazi- und Drogen-Regierung“, ohne je Beweise zu liefern.
- „Whataboutism“: Die berühmte „Aber was ist mit…?“-Masche: Kritik wird abgelenkt, indem man auf Verfehlungen anderer zeigt. Dies war schon im Kalten Krieg typisch für sowjetische Diplomaten und wird bis heute genutzt. Etwa wird westlichen Kritikern des Ukraine-Kriegs entgegnet: „Was ist mit dem US-Einsatz im Kosovo/Afghanistan?“ – ein Ablenkungsmanöver, das eigenes Fehlverhalten relativieren soll.
- Das „falsche Dilemma“: Komplexe Situationen werden auf zwei extreme Optionen reduziert, von denen eine als untragbar dargestellt wird – sodass nur die andere übrig bleibt. Beispiel: „Entweder greift Russland die Ukraine an, oder die Ukraine hätte Russland angegriffen – Russland blieb ja keine Wahl.“ Dieses Narrativ verdreht Ursache und Wirkung, um die eigene Aggression als notwendig hinzustellen.
All diese Methoden – vom falschen Hering bis zum Whataboutism – werden heute vor allem online und in sozialen Medien massiv eingesetzt. Putins Informationskrieg ist ein Trommelfeuer aus Lügen geworden. Forscher des RAND-Instituts beschrieben 2016 passend das Prinzip der „Firehose of Falsehood“ – „Ein Tsunami der Lügen“, der das neue digitale Schlachtfeld prägt. Kennzeichnend seien extrem hohes Volumen, multikanale Verbreitung, und die schamlose Missachtung von Fakten. Seit Anfang der 2010er setzte Moskau dafür eigens geschaffene Mittel ein: Trolle, Bots, Fake-Accounts auf Twitter, Facebook, Telegram etc.. Gleichzeitig wuchsen RT und Co. online zu riesigen Quellen an.
Interessanterweise sind Konsistenz oder Glaubwürdigkeit der Inhalte für die Propaganda zweitrangig. Die Autoren betonen einen zunächst paradoxen Punkt: Russische Kanäle verbreiten oft sogar widersprüchliche Behauptungen gleichzeitig, und trotzdem haben sie Erfolg. Normalerweise zerstören Inkonsistenzen Vertrauen – doch die russische Taktik ist es, durch die schiere Menge an Behauptungen Verwirrung zu stiften. Quantität schafft eine eigene Qualität: Wenn Dutzende „unabhängige“ Quellen unterschiedliche Versionen eines Ereignisses liefern, bleibt am Ende bei vielen das Gefühl hängen, „die Wahrheit ist unklar“. Ein Beispiel: nach dem Abschuss des Passagierfluges MH17 (2014) streute Moskau sofort zig Theorien (ukrainische Provokation, ein versuchter Anschlag auf Putin selbst, usw.), die einander teils ausschlossen. Diese „Verwirrtaktik“ reichte aus, um die klare Faktenlage (russische Militärs hatten den Jet abgeschossen) zu verschleiern.
Als weiteren Aspekt erklärt das Buch, wie Russland zielgruppengerecht orchestriert: Mal sollen Gegner maximal verunsichert werden, mal eigene Anhänger mobilisiert. Im US-Wahlkampf 2016 bspw. operierte die russische Trollfabrik IRA auf mehreren Ebenen: Sie infiltrierte Identitätsgruppen (z.B. Black Lives Matter und rechte Milizen) mit maßgeschneiderten Botschaften, rief einerseits zum Nichtwählen auf, verbreitete andererseits Pro-Trump-Propaganda und Hass gegen Hillary Clinton. Insgesamt identifizierte der US-Senat über 10 Millionen Tweets, 116.000 Instagram-Posts, 61.500 Facebook-Posts etc., die von IRA-Konten stammten (2015–2018) – mit einem Budget von rund 25 Mio. $. Die IRA agierte raffiniert: über Jahre baute sie Facebook-Gruppen mit unpolitischen Inhalten auf, um Vertrauen zu gewinnen, und schlug dann langsam politische Töne an. Dabei nutzte sie ein detailliertes Wissen über die US-Kultur, um passgenaue Memes zu erstellen. Dieses Beispiel zeigt, wie lange Atem und psychologisches Feingefühl Teil der russischen Strategie sind.
Kapitel 5 liefert unterm Strich ein ernüchterndes Bild: Russlands Informationskrieg ist effektiv, weil er flexibel, massenhaft, skrupellos und adaptiv ist. Er kombiniert altbewährte Lügenrezepte mit neuer Technik, variiert Botschaften je nach Zielgruppe und nutzt den Überraschungsvorteil. „Falsehood flies, and truth comes limping after it“ zitiert das Buch Jonathan Swift – „Die Lüge fliegt, die Wahrheit hinkt hinterher.“ (Dieses Zitat stellen die Autoren auch dem Empfehlungskapitel 17 voran.)
Kapitel 6: Deutschland im Visier
Ab hier richtet das Buch den Fokus auf Deutschland als Hauptziel russischer Einflussoperationen. Gleich zu Beginn berichtet Kapitel 6 von einer gigantischen prorussischen Desinformationskampagne, die das Auswärtige Amt Anfang 2024 aufdeckte: Binnen vier Wochen wurden über 50.000 gefälschte Nutzerkonten erstellt, die täglich bis zu 200.000 Tweets absetzten – ein „digitaler Tsunami“. Das Ministerium stellte fest, das aufgedeckte Netzwerk stehe den russischen US-Wahlmanipulationen 2016 „weder im Umfang noch im Grad der Einmischung nach“ (S. 125). Anders gesagt: Ein ähnlich massiver Angriff findet aktuell gegen Deutschlands Öffentlichkeit statt.
Die EU-Propagandaabwehrstelle (StratCom) und EU-Kommissarin Věra Jourová warnen denn auch eindringlich: „Deutschland steht besonders im Fokus der Russen, tut aber zu wenig, um dagegen vorzugehen.“ Russland setze in Deutschland gezielt auf „inländische Erfüllungsgehilfen“ – links- und rechtsextreme Politiker als „Soldaten des Informationskriegs“ (S. 125). Damit gemeint sind deutsche Akteure am politischen Rand, die Kreml-Narrative aufnehmen und verbreiten. Tatsächlich unterstützt russische Desinformation hierzulande fast ausschließlich zwei politische Lager: die extreme Rechte (allen voran AfD) und die extreme Linke (Teile von Die Linke bzw. das neue Wagenknecht-Lager). Dazu später mehr in Kapitel 10.
Der Bundesverfassungsschutz (BfV) bestätigt diese Einschätzung. Er beobachtet, dass russische Stellen versuchen, „Einfluss auf politische Entscheidungs- und Funktionsträger auszuüben“, Vertrauen der Bevölkerung in Demokratie zu untergraben und die „westliche Wertegemeinschaft zu diskreditieren“ sowie EU und NATO zu schwächen. Soziale Medien werden dafür verstärkt genutzt; die Kampagnen seien „deutlich intensiver und aggressiver“ geworden als früher. Das BfV geht auch von einer „hohen Dunkelziffer qualitativ sehr hochwertiger Cyberangriffe“ aus – vieles bleibt also unentdeckt.
Inhaltlich zielen die russischen Kampagnen in Deutschland auf alle kontroversen Themen, um gesellschaftliche Spaltung und Anti-Regierungsstimmung zu schüren: „Ob Migration, Covid-19, Rechts- wie Linksextremismus, Ukraine- oder Gazakrieg: Jedes Thema ist recht, wenn es dazu genutzt werden kann, unser Land zu destabilisieren.“ (S. 127). Besonders im Fokus steht aber natürlich der Ukrainekrieg und Deutschlands Rolle dabei. Russische Propaganda dämonisiert die Ukraine (z.B. als „Nazistaat“), diffamiert ukrainische Kriegsflüchtlinge (um Solidarität zu untergraben) und wirft der Bundesregierung vor, „die eigene Bevölkerung zu vernachlässigen, um die Ukraine zu unterstützen“. Hier erkennt man deutlich Putins Kalkül: Er will die bislang robuste Unterstützung Deutschlands für die Ukraine aushöhlen, indem er Neid, Ängste und Kriegsfurcht anspricht.
Im Kapitel wird gefragt: „Warum ist Deutschland für Moskau so wichtig?“ Die Gründe sind vielfältig:
- Historisch-ideologisch: In der Kreml-Ideologie spielt der Sieg über Hitler-Deutschland 1945 eine zentrale Rolle. Russische Propagandisten knüpfen daran an und unterstellen, „wenn Deutschland heute die Ukraine verteidigt, verteidigt es den Nazismus“. Diese zynische Verdrehung alter Mythen zielt darauf, deutsche Waffenhilfen als quasi faschistische Tat darzustellen. Zudem haben Russland und Deutschland eine lange gemeinsame Geschichte (Kulturbeziehungen, aber auch zwei Weltkriege). Putins persönliche Beziehung zu Deutschland (KGB-Zeit in Dresden, Freundschaft mit Altkanzler Schröder, Großprojekte wie Nord Stream) spielt ebenfalls eine Rolle. Jahrzehntelang sah Putin Deutschland als „Freund Nr. 1“ im Westen – nach der deutschen Zeitenwende 2022 fühlt er sich offenbar enttäuscht und macht Deutschland nun zum „Feind Nr. 1“ in Europa.
- Politisch-strategisch: Deutschland ist das bevölkerungsreichste EU-Land und wirtschaftliche Schwergewicht. „Von der deutschen Positionierung hängen alle europäischen Entscheidungen ab, die für den Kreml wichtig sind – Energie, Verteidigung, Sanktionen, EU/NATO-Erweiterung…“. Ergo: Wer Deutschland beeinflusst, beeinflusst Europa. Putin weiß um Deutschlands anfängliches Zögern bei Waffenlieferungen – er sieht hier einen Hebel, um die gesamte westliche Ukrainehilfe zu bremsen. Seit Deutschland nach anfänglichem Zögern doch zum zweitgrößten Waffenlieferanten für Kyjiw wurde, verstärkt Moskau die Bemühungen, die deutsche Öffentlichkeit dagegen aufzubringen.
- Gesellschaftliche „weiche Stellen“: Das Buch nennt mehrere Faktoren, die Deutschland anfällig für russische Einflussnahme machen. Dazu zählt die traditionelle „Russland-Romantik“ in Teilen der deutschen Gesellschaft – die jahrzehntelange Vorstellung von Russland als tief spirituellem Gegenpol zum rationalen Westen. Auch die starke Friedensbewegung und das Erbe von „Wandel durch Annäherung“ spielen hinein: Viele Deutsche wollen lieber Verständigung um jeden Preis als Konfrontation. Zudem gibt es eine große russischsprachige Community in Deutschland (ca. 3,5 Millionen Menschen) – Russlanddeutsche, postsowjetische Zuwanderer, Studenten etc.. Die allermeisten von ihnen sind rechtschaffene Bürger, viele sogar Putin-Kritiker. Dennoch: Aufgrund von Sprache und Herkunft sind sie eine leichte Zielgruppe für Moskaus Propaganda, etwa über russischsprachige Medien oder Social-Media-Gruppen.
- Polykrise und Verschwörungsglauben: Die Autoren führen aus, dass die Deutschen (wie viele Menschen weltweit) seit Jahren unter einer „Polykrise“ leiden – Corona, Klimawandel, Krieg, Inflation, Flüchtlingskrise, Energiekrise… alles kumuliert. Diese Überforderung schafft bei manchen den Wunsch nach einfachen Antworten. Verschwörungstheorien blühen auf, weil sie klare Schuldige präsentieren und das eigene Weltbild vereinfachen. Gerade jene, die sich sozial abgehängt oder bedroht fühlen, greifen auf solche Erklärungen zurück, um sich als „eigentlich moralisch im Recht“ zu sehen. Der Kreml nutzt diese Stimmung aus: Er liefert mit seiner Propaganda scheinbar schlüssige, simple Narrative (z.B. „Die Ukraine ist korrupt und selbst schuld“, „Die USA stecken hinter allem“), die jene ansprechen, die an „geheime Eliten“ glauben wollen.
Insgesamt zeichnet Kapitel 6 ein Bild von Deutschland als Hauptschauplatz des russischen Informationskriegs in Europa. Deutschland ist Moskaus vorrangiges Ziel, weil hier der größte Effekt zu erzielen ist, sollte die Unterstützung für die Ukraine kippen. Bislang ist das nicht gelungen – aber die Gefahr ist real. Die Autoren mahnen, Deutschland müsse „endlich aufwachen und sich wehren“, da die Bedrohung „mitten unter uns, massiv und real“ sei (Zitat Arndt von Loringhoven, S. 125, im Buchcover).
Kapitel 7: Eskalation auf allen Ebenen
Durch Russlands Angriff auf die Ukraine 2022 hat sich die Lage weiter verschärft. Deutschland wechselte aus Sicht des Kreml vom früheren „Freund“ zum offenen Widersacher – und Moskau hat darauf mit einer breit angelegten Eskalation reagiert. „Wir sehen heute eine Eskalation auf allen Ebenen, in den Medien ebenso wie im Cyberraum und sogar bei physischen Angriffen auf kritische Infrastruktur.“ (S. 144). Sanktionen und Spionageausweisungen haben Russland nicht etwa gebremst, sondern zu noch aggressiverem Verhalten motiviert. Diese Warnung ziehen die Autoren aus den Entwicklungen der letzten zwei Jahre.
Kapitel 7 fasst noch einmal zentrale Akteure und Instrumente zusammen, speziell im deutschen Kontext. Es wird betont, dass russische Spitzenpolitiker und Diplomaten selbst Propagandisten sind: Putin, Ex-Präsident Medwedew, Außenminister Lawrow oder der Botschafter in Berlin, Sergej Netschajew, setzen auch in Deutschland den Ton. Sie verbreiten ein nationalistisch-imperialistisches, antiamerikanisches, homophobes und rassistisches Weltbild und werben um Anhänger mit „antimodernen“ Überzeugungen. Das spiegelt sich z.B. darin, dass Putin und seine Leute bewusst an rechtsextreme und ultrakonservative Kreise appellieren (Traditionswerte, Anti-LGBT-Rhetorik etc.), aber gleichzeitig via andere Kanäle auch linke Anti-Kriegs- und Friedensaktivisten anzusprechen versuchen (darauf geht Kapitel 13 ein).
Ein großes Thema in Kapitel 7 ist der Medienapparat in Deutschland vor Kriegsbeginn: RT DE und Sputnik konnten bis 2022 hier relativ frei agieren und hatten einige Erfolge. RT DE stellte sich breit auf – neben Ukrainekrieg auch „Krisenthemen“ wie Flüchtlingskrise, Corona, Energie, Inflation, wo es stets die Bundesregierung als unfähig darstellte. Nachdem RT DE in der EU verboten und Sputnik eingeschränkt wurde (Februar 2022), reagierte Russland mit Umgehungsstrategien: Es baute über Ersatzplattformen in sozialen Medien seine Präsenz wieder auf. Beispielsweise verlagerte RT viel Content auf Telegram, Ruptly und andere Proxy-Kanäle. Die Autoren erwähnen, dass sogar nach den Verboten „Tochterunternehmen wie Redfish bis 2023 in Deutschland weiterarbeiteten“. Zudem bleiben in Berlin mit dem „Russischen Haus“ und ähnlichen Einrichtungen weiterhin Knotenpunkte russischer Einflussnahme aktiv.
Soziale Netzwerke sind aber eindeutig zur wichtigsten Bühne geworden. Besonders genannt werden Telegram und TikTok (neben den westlichen Größen Facebook, Instagram, YouTube), die bei jungen Nutzern beliebt sind. Auch russische Plattformen wie VKontakte und Odnoklassniki haben in der russlanddeutschen Community einige Verbreitung. Bedauerlich sei, dass große Plattformbetreiber das Problem oft aussitzen – im Buch heißt es, alle Anfragen an sie blieben unbeantwortet.
Kapitel 7 liefert als Konkretexempel noch Details zu der vom AA enttarnten Desinformationskampagne (siehe Kapitel 6): Dieses Netzwerk, das gezielt deutschsprachige Internetnutzer ins Visier nahm, hatte Modellcharakter. Es wurde wahrscheinlich von Russland aus gesteuert und ähnelte bekannten Kampagnen wie „Doppelgänger“ (bei der Webseiten deutscher Medien nachgeahmt wurden, um Falschmeldungen einzuschleusen). Viele Hinweise deuteten auf Überschneidungen mit früheren Aktionen hin, sodass Experten den Urheber als russisch identifizierten.
Auch physische Sabotageakte deutet das Buch an: Etwa Angriffe auf Stromnetze, Bahn-Infrastruktur oder Kommunikationsknoten werden als reale Gefahr genannt (ohne hier ins Detail zu gehen). In Summe macht Kapitel 7 klar, dass Russland seine Angriffsmethoden weiter diversifiziert: Neben reiner Propaganda eben auch Cyberangriffe auf deutsche Ziele (z.B. die 2022 aufgedeckten Hacks gegen deutsche Regierungsstellen) und potenzielle Anschläge auf Infrastruktur (Stichwort Nord-Stream-Pipeline-Explosion, die zumindest im Raum steht). All dies wird als Teil desselben strategischen Musters gesehen: höchstmöglicher Druck auf Deutschland auszuüben, um dessen Politik zu beeinflussen.
Kapitel 8: „Wir schaffen das – nicht.“ (Migration 2015/2016)
In diesem Kapitel wird die Flüchtlingskrise 2015/16 analysiert – als frühes Beispiel, wie russische Desinformation in Deutschland zündeln konnte. Der sarkastische Titel „Wir schaffen das – nicht.“ spielt auf Angela Merkels berühmten Ausspruch an und die Gegenpropaganda, die das Gegenteil behauptete.
Das Schlüsselerlebnis war der sogenannte „Fall Lisa“: Im Januar 2016 behaupteten russische Staatsmedien, die 13-jährige Russlanddeutsche Lisa F. aus Berlin sei von Flüchtlingen entführt und vergewaltigt worden – und die deutschen Behörden würden das vertuschen. Diese Meldung verbreitete sich rasend schnell in russischsprachigen Communities („unser Mädchen Lisa“), löste in Berlin Proteste aus und führte sogar zu diplomatischen Verstimmungen (der russische Außenminister Lawrow warf Deutschland öffentlich die Vertuschung eines Verbrechens vor). Später stellte sich heraus: Lisa war gar nicht vergewaltigt worden; sie hatte die Geschichte erfunden, um Ärger in der Schule zu entgehen. „Die erfundene Vergewaltigung Lisas hat sich so gut eingefügt, weil die Geschichte nicht gänzlich erfunden war und bestehende Ängste perfekt stimulierte.“ (S. 57). Es gab tatsächlich eine Lisa, sie war wirklich verschwunden (für kurze Zeit) – dieser reale Kern machte die Lüge plausibel. Außerdem traf das Gerücht genau die zurzeit grassierenden Ängste der deutschen Bevölkerung: vor „jungen männlichen Flüchtlingen“, vor Kriminalität, vor Kontrollverlust des Staates. Russlands Propaganda nutzte diese Stimmungslage gezielt aus.
Der Fall Lisa gilt bis heute als Lehrstück russischer Desinformation in Deutschland. Die Autoren zeigen, wie perfide die Kreml-Strategie hier war: Das Narrativ zielte sowohl auf die russlanddeutsche Minderheit (der signalisiert wurde „der deutsche Staat schützt euch nicht“) als auch auf die allgemeine Flüchtlingsdebatte („Merkels Politik führt zu Chaos und Gewalt“). Rechtsextreme Kreise griffen das sofort auf. Der Mythos hielt sich hartnäckig, obwohl er entlarvt wurde – was zeigt, wie stark emotionale Falschgeschichten wirken. Im Buch heißt es: Viele Menschen sahen in „Lisas Vergewaltigung den Beweis für eine unfähige Regierung, die die eigenen Leute nicht schützt und stattdessen Migranten bevorzugt“. Andere – angefeuert durch russ. Medien – deuteten es als Beispiel für generelle Migrantengewalt.
Russlands Erfolg mit dem „Lisa-Schema“ ermunterte den Kreml, es zu wiederholen. 2017 in Litauen wurde versucht, deutschen NATO-Soldaten eine Vergewaltigung anzuhängen – glücklicherweise flog es dort schneller auf und fand weniger Resonanz. 2018 kursierte in Deutschland das Gerücht, von 500 Vergewaltigungen in Flüchtlingsheimen seien viele vertuscht worden. Auch das war frei erfunden. Solche Fake News im Migrationskontext sind deshalb so wirksam, weil sie an reale Probleme (Integrationsschwierigkeiten, Einzelfallkriminalität) anknüpfen und extreme Emotionen (Schutz von Kindern, sexuelle Gewalt) triggern.
Zusätzlich schildert das Kapitel, wie russische Medien 2015/16 generell Stimmung machten: Sie sprachen z.B. von einer „deutschen Migrantenkrise, die vom Westen selbst verursacht“ sei, oder behaupteten, Europa werde von Flüchtlingen „überrannt“ und stehe vor dem Kollaps. Rechtspopulistische Bewegungen wie Pegida und die AfD griffen viele dieser Narrative begierig auf – häufig waren die Ursprünge (z.B. manipulative Berichte von Sputnik) nicht direkt sichtbar, aber sie legten den Resonanzboden. Die Autoren betonen, dass Moskau hier erfolgreich Angstkampagnen lancierte, die die Gesellschaft spalteten: 2016 war die Flüchtlingspolitik eines der umstrittensten Themen in Deutschland, begleitet von Demonstrationen, teils auch Übergriffen auf Migrantenheime. Die russische Propaganda heizte bewusst an, um diese Polarisierung zu verstärken.
Kapitel 8 verdeutlicht somit, dass Migration für den Kreml ein willkommenes Konfliktthema ist, um in westlichen Gesellschaften Unruhe zu stiften. Die Spitze des Eisbergs war der Fall Lisa, aber drumherum schwammen unzählige kleinere Fakes (Statistiken über angebliche Verbrechen, Horrorgeschichten aus anderen Ländern etc.). Der Schaden: Das Vertrauen zwischen Bevölkerungsgruppen wurde erodiert, Verschwörungstheorien („Lügenpresse!“) gewannen Zulauf.
Kapitel 9: Covid-19 – Eine Chronologie russischer Informationsmanipulation
In diesem Kapitel wird nachgezeichnet, wie Russland die Corona-Pandemie für seine Zwecke instrumentalisiert hat. Die Autoren sprechen von der Pandemie als „perfektem Einfallstor für die Manipulation des deutschen Informationsraums“. Ab 2020 traf eine beispiellose Gesundheitskrise auf eine bereits durch Social Media fragilisierte Öffentlichkeit – ein idealer Nährboden für Desinformation.
Bereits zu Beginn der Pandemie streute der Kreml klassische Verschwörungstheorien: Über den Sender RT wurde z.B. das Gerücht verbreitet, die USA hätten das Virus als Biowaffe gezielt freigesetzt. Man behauptete sogar, das Virus könne „bestimmte ethnische Gruppen bevorzugt infizieren“, um die Erzählung einer US-Biowaffe zu untermauern – eine Anspielung auf rassistische Motive. Gleichzeitig verbreitete Russland die Propaganda, Europa werde „durch die Pandemie final zusammenbrechen“. Auffällig ist: Diese Behauptungen widersprachen sich teils (einmal „USA schuld“, dann „EU bricht zusammen“), doch wie üblich ging es nicht um Logik, sondern darum, Verunsicherung zu säen. Daneben griff Moskau auf antisemitische Untertöne zurück (Gerüchte über „geheime jüdische Weltverschwörung“ hinter Corona), was an sowjetische Propaganda-Traditionen anknüpft.
Im Verlauf der Pandemie passte Russland seine Desinformation der Lage an. Als es um Impfstoffe ging, lancierte der Kreml besonders bei impfkritischen und esoterischen Milieus Botschaften. Es wurde z.B. die „Corona-Diktatur“ an die Wand gemalt – die Idee, Regierungen (insb. westliche) nutzten Covid als Vorwand, um die Bevölkerung zu unterdrücken. In Deutschland spielte Russland subtil Esoteriker gegen Regierungstreue aus: Indem russische Kanäle die bizarre Angst vor einer „Durchimpfung als Versklavung“ schürten, stellten sie sich auf die Seite der sogenannten Querdenker und Radikalen, die die Pandemie-Maßnahmen ablehnten. So wurde aus Impfgegnern und Verschwörungstheoretikern ein weiteres pro-russisches Resonanzfeld.
Die Autoren dokumentieren eine Chronologie der Desinformation: Von 2020 bis 2022 gab es diverse Wellen von Falschmeldungen. Beispielhafte Narrative:
- „Das Virus ist harmlos / existiert nicht wirklich.“ – gefolgt von „Das Virus ist gefährlich, aber die westlichen Regierungen halten Heilmittel zurück.“
- „Die Impfungen sind gefährlicher als Covid.“ – hier wurde mit Horrorgeschichten über angebliche Impftote gearbeitet. RT DE bot Impfgegnern extrem viel Raum und wurde zu einer der beliebtesten Quellen für Coronaleugner und Populisten in Deutschland.
- „Der Lockdown ist der Anfang einer Diktatur.“ – Verschwörungsmythen wie QAnon und Konsorten fanden in russischen Medien Bestätigung. Russische Kanäle verbreiteten z.B., der Great Reset oder die WHO würden die Weltherrschaft übernehmen.
- „Geheime Eliten orchestrieren alles.“ – Hier knüpften russische Outlets an bereits existierende „Deep State“-Legenden an. Mehr als 15 Millionen Deutsche sollen laut Umfragen an solche Erzählungen geglaubt haben (Stichwort: „Pandemie als geplante Plandemie“).
Ein wichtiger Effekt: Während Corona sind in Deutschland neue Protest-Allianzen entstanden, bei denen die Trennlinien zwischen extrem links und extrem rechts verschwammen. Menschen sehr unterschiedlicher Hintergründe vereinten sich in ihrem Unmut gegen die Maßnahmen. Russland beförderte diese Querfront – denn je mehr die politische Mitte ins Wanken gerät, desto besser für Moskau. Prominente Köpfe dieser Bewegung, wie Sahra Wagenknecht (Links) und gewisse AfD-Politiker, fanden im Protest gegen die „Corona-Diktatur“ eine gemeinsame Sprache. Wagenknecht sprach 2022 von „Seite an Seite“-Demonstrationen von Linken und Rechten gegen die Regierung. Diese Entwicklung, so die Autoren, wurde auch nach dem Abklingen der Pandemie von Russland weiter genutzt: Viele, die damals den Medien und der Regierung misstrauten, sind nun besonders empfänglich für prorussische Falschinformationen im Ukrainekrieg. Sozusagen hat die Corona-Desinformation ein Publikum geschaffen, das Russland jetzt erneut bedient.
Ein Lichtblick: Interessanterweise stieg während der Pandemie das Vertrauen vieler Deutscher in die etablierten Medien kurzzeitig etwas an (wohl weil man in der Krise verlässliche Infos suchte). Doch zugleich bildete sich ein lautstarkes Widerstandsmilieu, das bis heute anhält – mit Telegram-Kanälen, „alternativen Medien“ und Verschwörungs-Influencern, die nun nahtlos vom Corona- aufs Ukraine-Thema umgeschwenkt sind. Kapitel 9 macht deutlich, dass Russlands Info-Krieg ein Thema nach dem anderen bespielt: Wenn eine Krise (Covid) zurücktritt, wird die nächste (Ukraine, Energie, Inflation) in den Vordergrund gerückt, aber oft mit denselben Akteuren und Mechanismen.
Zusammengefasst hat der Kreml die Corona-Zeit genutzt, um Misstrauen gegen Staat und Wissenschaft in Deutschland zu säen. Er versuchte, die Menschen zu verunsichern, die Gesellschaft zu entzweien und radikale Gegenbewegungen zu stärken. Viele Mythen – vom „Impfchip“ bis zu „geheimen Impf-Milliarden für Politiker“ – wurden von russischen Medien zumindest verstärkt. Die Schäden dieser Desinformationspandemie wirken nach: In der deutschen Öffentlichkeit gibt es nun ein größeres Feld von Menschen, die offiziellen Narrativen misstrauen und empfänglicher für Kreml-Propaganda sind.
Kapitel 10: Aufstieg extremistischer Parteien
In diesem Kapitel richten die Autoren den Blick auf die politischen Ränder in Deutschland – insbesondere die AfD (Alternative für Deutschland) und das von Sahra Wagenknecht initiierte neue Bündnis – und wie Russland deren Aufstieg fördert oder ausnutzt.
Kerneinsicht: Russlands Desinformation unterstützt gezielt die Kräfte, die Deutschlands pro-westlichen Kurs untergraben. „Russische und prorussische Propaganda unterstützt genau zwei Parteien in Deutschland“, betonen die Autoren – und zwar jene an den politischen Rändern. Gemeint sind die rechtsnationale AfD und das linksalternative Projekt Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Das Ziel dahinter: Deutschlands Demokratie zu schwächen und Spaltung in der EU zu provozieren, denn Moskau betrachtet den Erfolg dieser Parteien als „Schwächung des Westens“.
Die AfD wird sehr ausführlich behandelt. Seit ihrer Gründung erlebte sie einen starken Rechtsruck und außenpolitischen Kurswechsel hin zu Russland. Bei der Europawahl 2024 wurde die AfD zweitstärkste Partei (im Osten sogar Nummer 1) – „ein großes Geschenk für den Kreml“, schreiben die Autoren, „denn die AfD liegt in ihren Positionen nahe an Moskau.“ (S. 180). Tatsächlich fordert die AfD Friedensverhandlungen statt weiterer Waffen für Kyjiw und ein Ende der Sanktionen, also Wiederaufnahme von Gasimporten aus Russland. Sie vertritt damit exakt das, was Putin nützt.
Historisch zeichnen die Autoren nach, dass Moskau und die AfD seit 2014 zunehmend eng verflochten sind. Alexander Gauland (AfD-Gründungsmitglied) war einer der ersten, der offen russlandfreundliche Töne anschlug – er forderte 2014, man solle wieder Elemente von Bismarcks Rückversicherungsvertrag mit Russland aufleben lassen. Gauland und andere AfDler reisten ab 2015/16 regelmäßig nach Russland:
- 2016 nahm Marcus Pretzell (AfD NRW) am von Russland organisierten „Jalta-Forum“ auf der Krim teil.
- 2017 besuchte AfD-Chefin Frauke Petry Moskau und traf den Duma-Vorsitzenden Wjatscheslaw Wolodin sowie den Ultranationalisten Wladimir Schirinowski.
- 2020 wurde AfD-Co-Chef Tino Chrupalla offiziell von Außenminister Lawrow empfangen. Auch danach reisten immer wieder AfD-Spitzen nach Russland.
Journalisten haben gezählt: über 100 Reisen von AfD-Politikern nach Russland seit 2014. Putin selbst zeigte ebenfalls Sympathie: Auf dem Waldai-Forum fragte er einmal rhetorisch, warum der Kreml hochrangige Kontakte zur AfD pflege, obwohl er doch in der Ukraine gegen „Nazis“ kämpfe – und beantwortete es damit, dass er die AfD eben nicht als rechtsextrem sehe. Wörtlich bestritt Putin, „dass die AfD etwas mit Nazimethoden zu tun hat, im Gegenteil, sie sei das Opfer von Nazimethoden“. Solch demonstrative Verteidigung einer deutschen Oppositionspartei durch Putin persönlich ist bemerkenswert und zeigt, „wie wichtig ihm die Unterstützung der AfD offenbar ist“.
Die AfD hat ihrerseits offen Position für Russland bezogen: Ihre Politiker verbreiten Kreml-Narrative (etwa dass die Krim rechtmäßig russisch sei, dass die Ukraine selbst schuld am Krieg sei etc.). Im Bundestag stimmte die AfD als einzige Fraktion gegen sämtliche Waffenlieferungen an die Ukraine. Personell bestehen Netzwerke: Die Autoren erwähnen z.B., dass AfD-Mann Markus Frohnmaier 2017 mutmaßlich Wahlkampfhilfe aus Russland erhielt (ein geleaktes Dokument sprach davon, er sei „unter Kontrolle“). Auch russische Desinformationsmedien wie RT DE haben massiv zur Popularität von AfD-nahen Stimmen beigetragen, indem sie ihnen überproportional Raum gaben. Chefredakteur Ivan Rodionov (RT DE) trat oft in deutschen Talkshows auf und verteidigte Russlands Positionen – was indirekt auch der AfD nutzte, die ja ähnliche Kritikpunkte (an „Mainstream“ und Regierung) hat.
Neben der AfD rückt nun auch die Wagenknecht-Partei (BSW) ins Visier. Sahra Wagenknecht, zuvor Ikone der Partei Die Linke, vertritt seit langem Positionen, die stark gegen Waffenlieferungen und Sanktionen gerichtet sind – also sehr russlandfreundlich. Ihr neues Bündnis will genau diese Haltung politisch verankern. Die Autoren schreiben, dass die AfD und in geringerem Ausmaß auch das Bündnis Wagenknecht von einem „aus Russland gesteuerten Netzwerk“ online unterstützt wurden. Kurz vor der EU-Wahl 2024 seien auffällig viele Posts auf Twitter/X aufgetaucht, die Werbung für AfD (und teils BSW) machten – verbreitet von einer erstaunlich kleinen Zahl von Fake-Accounts, was auf orchestrierte Aktion schließen lässt. Moskau bejubelte jedenfalls den Erfolg der AfD und das Aufkommen von Wagenknechts Liste „mit einem zufriedenen Lächeln“ und wertete es als Verdienst der eigenen Bemühungen (S. 143).
Die Linke-Partei (bzw. Teile davon) und ihre Vorgängerin PDS war übrigens schon früher anfällig für sowjetische/russische Einflussnahme – man denke an die DKP-geführten Friedensdemonstrationen in den 80ern, die von KGB und Stasi mitinitiiert wurden. Wagenknecht steht in dieser Tradition: anti-NATO, anti-USA, und dadurch objektiv nah an russischen Interessen. Im Buch wird beispielsweise erwähnt, dass Wagenknecht und Alice Schwarzer 2023 einen „Friedensmanifest“-Appell organisierten, der sehr genau russische Propaganda-Narrative bediente (so wurde darin die Hauptschuld am Krieg dem Westen gegeben und ein Stopp aller Waffenhilfen gefordert). Solche Initiativen werden von russischen Medien natürlich begierig aufgegriffen und verstärkt.
Zusammengefasst zeigt Kapitel 10: Extremistische bzw. systemoppositionelle Parteien in Deutschland erhalten Schützenhilfe aus Moskau. Durch Desinformation, Bots und mediale Amplifizierung trägt Russland dazu bei, dass AfD & Co. Zulauf erhalten. Der „Bruch der AfD mit der Westbindung Deutschlands“ (die seit Adenauer Staatsdoktrin war) stellt aus Kreml-Sicht einen Triumph dar. Je stärker diese Kräfte werden, desto mehr gerät Deutschlands pro-ukrainischer, pro-europäischer Kurs ins Wanken – was genau Putins Absicht entspricht. Die Autoren werten es daher als alarmierend, dass die AfD derart erstarkt ist. Ihre Narrativen („Sanktionen ruinieren uns“, „Frieden sofort“, „Deutschland zuerst“) haben sich in Teilen der Bevölkerung verfestigt – „russische Propagandisten können mit ihrer Arbeit höchst zufrieden sein“, heißt es dazu pointiert (S. 164).
Kapitel 11: „Testlabor“ Ukraine
Kapitel 11 wendet sich dem Kriegsschauplatz Ukraine zu und zeigt, wie Russland dort all seine hybriden Methoden zuerst erprobt und dann perfektioniert hat. Die Ukraine ist gewissermaßen das Experimentierfeld für Russlands Informationskrieg, bevor die Ergebnisse global ausgespielt werden.
Seit dem Beginn der Invasion am 24. Februar 2022 erleben Millionen Ukrainer einen Albtraum aus Bombardements, Besatzung und Kriegsgräueln. Von Tag 1 an begleiteten die Russen ihren Angriff aber auch mit einem Trommelfeuer an Desinformation und Propaganda. Nirgendwo sonst wird so deutlich wie in der Ukraine, dass alle Aspekte der hybriden Kriegsführung zusammengehören: Militärische Operationen, Cyberattacken, Medienpropaganda – alles greift ineinander als Teil einer Strategie, die darauf abzielt, die Ukraine als unabhängigen Staat zu zerstören.
Schon 2014, im Schatten der Krim-Annexion und des Donbass-Konflikts, begann dieser hybride Krieg. Damals tauchten die berüchtigten „grünen Männchen“ (russische Soldaten ohne Hoheitsabzeichen) auf der Krim auf, besetzten Gebäude und inszenierten das Scheinreferendum. Putin gab erst Jahre später zu, dass das natürlich russische Kräfte waren. Parallel zu den militärischen Schritten überzog Russland die Ukraine seit 2014 mit einer beispiellosen Welle von Desinformation, Propaganda und Cyberangriffen (S. 203). Die Ukraine wurde – so wörtlich – zum „Testlabor des modernen hybriden Krieges“.
Konkret bedeutete das:
- Fake News in ukrainischen Medien: Schon ab 2014 fluteten pro-russische Akteure Fernsehen, Zeitungen und soziale Medien mit Lügen und Hassbotschaften. Beispielsweise verbreitete die russische Staatspropaganda die abscheuliche (und frei erfundene) Geschichte von einem ukrainischen „Kind, das von ukrainischen Soldaten gekreuzigt“ worden sei – ein extremes Beispiel, das in russischen Medien lief, um die ukrainische Regierung zu dämonisieren.
- Einsatz von Bloggern/Influencern: Russland finanzierte in der Ukraine ein Netzwerk willfähriger „Meinungsmacher“, die in sozialen Netzwerken prorussische Narrative verbreiteten. Auch bezahlte „Trolle“ mischten sich in ukrainische Online-Diskussionen ein, um Zwietracht zu säen – etwa zwischen pro-westlichen und russlandfreundlichen Ukrainern.
- Cyberangriffe auf kritische Infrastruktur: 2015 hackten russische Gruppen ukrainische Kraftwerke und legten stundenweise den Strom lahm. 2016 traf es Kiews Stromnetz, 2017 wurden Banken, Ministerien und Unternehmen Opfer eines massiven Cyberangriffs (mit der Schadsoftware NotPetya). NotPetya, vom russischen SWR entwickelt, galt als einer der zerstörerischsten Cyberangriffe überhaupt – er richtete global Milliarden-Schäden an, obwohl er ursprünglich „nur“ gegen die Ukraine gerichtet war. Natürlich bestritt Moskau jede Verantwortung.
All dies – mediale Destabilisierung, Hackerattacken, verdeckte militärische Aktionen – wurde in der Ukraine zuerst ausprobiert. Als die Methoden wirkten, intensivierte Moskau sie. Ukrainische Gegenmaßnahmen (wie das Blockieren russischer Social-Media-Seiten oder das Verbessern der Cyberabwehr) konnten manches abmildern, aber der Druck blieb enorm.
Ein wichtiger Teil des Kapitels sind die „Surkow-Leaks“: Ukrainischen Cyberaktivisten (der „Ukrainian Cyber Alliance“) gelang es 2016/17, die E-Mails von Wladislaw Surkow zu hacken. Surkow war Putins früherer Chefideologe (Architekt der „gelenkten Demokratie“) und ab 2014 zuständig für die Ukraine-Politik des Kreml. Die geleakten Dokumente, analysiert vom britischen RUSI-Institut, zeigten:
- Russland übernahm ab 2014 komplett die Kontrolle über die „Separatisten“-Gebiete Donezk und Luhansk. Der angebliche lokale Aufstand war in Wahrheit von Moskau gesteuert und finanziert. Russische Agenten und die örtlichen Warlords erstatteten Surkow regelmäßig Bericht über ihre Sabotageakte und Kämpfe. Ziel war nie ein echter Frieden, sondern immer die Einflussnahme auf die Gesamtukraine.
- Als das Projekt „Noworossija“ (die Abtrennung des halben Ostens) scheiterte, wechselte Moskau zum Plan B: Föderalisierung der Ukraine. Man wollte Kiew zwingen, den besetzten Gebieten weitgehende Autonomie zu geben, um so über diese Hebel die Gesamtpolitik der Ukraine steuern zu können.
- Surkows Team analysierte sehr genau die sozialen und sprachlichen Bruchlinien in der Ukraine, um sie propagandistisch auszunutzen. So wurden zum Beispiel prorussische Medienplattformen neu geschaffen oder infiltriert, „Influencer“ und „Analysten“ installiert, die gezielt prorussische Botschaften verbreiten sollten. Das war im Grunde eine Anwendung des Konzepts der „Reflexiven Kontrolle“: Man studiert den Gegner (hier die ukrainische Gesellschaft) so tiefgehend, dass man ihr Verhalten unbemerkt in die gewünschte Richtung lenken kann. Die Russen setzten gezielt narratives „Framing“ ein, um bestimmte Reaktionen zu provozieren – etwa den Wunsch nach „Neutralität“ in breiten Bevölkerungsteilen, was ihrem Ziel diente.
Die Ukraine bekam all diese Facetten des hybriden Krieges als erstes zu spüren. Während der heißen Kriegsphase ab 2022 potenzierten sie sich noch: Russische Propaganda versuchte etwa, internationale Kriegsverbrechen-Aufklärung zu sabotieren (z.B. wurde das Massaker von Butscha als „ukrainische Inszenierung“ hingestellt, siehe nächstes Kapitel). Aber schon vorher, in den 8 Jahren 2014–2022, war die Ukraine das laborartige Versuchsfeld: Was dort an Manipulation klappte, exportierte Moskau später nach Europa. Zum Beispiel sind die Falschmeldungen über angebliche Biowaffenlabore in der Ukraine (Kapitel 12) eine Weiterentwicklung von Verschwörungen, die in der Ukraine selbst gestreut wurden, um die USA zu diskreditieren.
Kapitel 11 untermauert also die zentrale These: Russland hat in der Ukraine das Handwerk des hybriden Krieges modernisiert. Die Ukraine war in Putins Augen zunächst Testobjekt, dann Ziel Nr. 1. Die Brutalität in der militärischen Führung (Terror gegen Zivilisten) ging Hand in Hand mit einer beispiellosen Informationsoffensive, um die Welt (und Ukrainer selbst) über die wahren Absichten zu täuschen. Heute ist die Ukraine leider Vorreiter in der Abwehr solcher Angriffe – vieles, was der Westen jetzt lernt (z.B. Faktenprüfung in Echtzeit, OSINT-Recherchen wie durch Bellingcat zur Aufdeckung von MH17), wurde unter ukrainischem Druck entwickelt.
Kapitel 12: Deutschland und die Ukraine
Dieses Kapitel verbindet die Fäden: Wie versucht Russland, die deutsche Unterstützung für die Ukraine im aktuellen Krieg zu unterminieren? Gleich zu Beginn wird enthüllt, dass Putins rechte Hand Sergej Kirijenko im Januar 2023 angewiesen hat, Deutschland zum „Fokus“ der Einflussbemühungen zu machen, um die europäische Ukraine-Hilfe zu schwächen (S. 214). Deutschland als Schlüssel-Land (siehe Kapitel 6) sollte demnach gezielt mit Narrativen bearbeitet werden, die hier besonders verfangen.
Kirijenkos „Paket von Narrativen“ für Deutschland überlappt zwar teilweise mit der Propaganda gegenüber Ukrainern, ist aber speziell auf deutsche Ängste und Empfindlichkeiten zugeschnitten. Drei Hauptthemen werden genannt: Frieden, Flüchtlinge, Wirtschaft.
- Friedenssehnsucht und Kriegsangst: Russland nutzt das deutsche Trauma vom Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion (1941–45) und die tiefe Angst vor einem dritten Weltkrieg. Unter dem Slogan „Frieden schaffen“ wirbt die Propaganda dafür, Waffenlieferungen einzustellen und lieber zu verhandeln – was real einer Kapitulation der Ukraine gleichkäme. Gleichzeitig droht sie unterschwellig mit Eskalation: Die Furcht vor einem Atomkrieg sitzt in Deutschland verständlicherweise tief, und der Kreml „schürt diese Ängste bei uns immer wieder“. Russische Politiker und Staatsmedien malen regelmäßig aus, welche Städte in Europa von russischen Nuklearschlägen getroffen werden könnten. Dmitri Medwedew z.B. hat mehrfach unverhohlen gedroht. Das Buch erwähnt, wie schon das Wort „kriegsbereit“ (in einer Aussage von Verteidigungsminister Pistorius) in Deutschland Alarm auslöst – Russland weiß um diese Sensibilität. Daher wird ständig betont: „Wenn ihr weiter Ukraine unterstützt, riskiert ihr den großen Krieg!“ Diese Drohkulisse soll die Deutschen mürbe machen.
- Flüchtlinge und soziale Unruhe: Moskau versucht, einen Keil zwischen Deutsche und ukrainische Geflüchtete zu treiben. Es werden Gerüchte gestreut, ukrainische Kriegsflüchtlinge würden sich arrogant verhalten, dem deutschen Sozialstaat auf der Tasche liegen oder gar Kriminalität bringen (ähnlich wie bei syrischen Flüchtlingen 2015). Ziel: Entsolidarisierung mit der Ukraine. Gleichzeitig wird ein Kontrast mit deutschen Bedürftigen gezeichnet: Propaganda suggeriert, die deutsche Regierung vernachlässige Rentner, Arme etc., weil sie lieber Milliarden nach Kyjiw schicke. Diese Linie verfolgt explizit z.B. die AfD („Erst kommt unser Land“), unterstützt durch russische Kanäle. So entstand 2022 die Erzählung vom drohenden „Wutwinter“: Angeblich würden wegen gestiegener Energiepreise bald Massen von Deutschen gegen die Ukraine-Politik rebellieren. Russische Stellen behaupteten, Hunderttausende würden auf die Straße gehen. Das blieb aus – aber das Narrativ hielt sich in prorussischen Gruppen (besonders in Ostdeutschland fordern bis heute einige die Wiederinbetriebnahme von Nord Stream, um „billiges Gas“ zurückzubekommen).
- Wirtschaft und Sanktionen: Ein weiteres Narrativ ist die „Selbstschädigung“ Deutschlands durch die Unterstützung der Ukraine. Der Kreml malt den Teufel an die Wand, dass Deutschlands Wirtschaft kollabieren könnte: „Standortschließungen, Massenarbeitslosigkeit, unbezahlbare Energie“. Im Netz kursierten z.B. teils gefälschte Statistiken, die einen viel dramatischeren Anstieg der Energiepreise zeigten, als tatsächlich stattfand. Die Botschaft: „Wollt ihr eure Industrie ruinieren wegen eines fremden Landes?“ Dieses falsche Dilemma – „Ukraine oder Wohlstand“ – wurde gezielt verbreitet, um die Ukraine-Hilfe als unvernünftig erscheinen zu lassen. Die Autoren stellen klar, dass es sich dabei um einen Trick handelt, analog zum im Kapitel 5 beschriebenen Schema des „falschen Dilemmas“.
Ein besonders perfides und aktuelles Beispiel (Stand 2023) war die Hamas-Ukraine-Waffen-Lüge: Kurz nach Beginn des Gaza-Krieges (Oktober 2023) streuten russische Kanäle die Behauptung, Waffen, die der Westen der Ukraine geliefert hatte, seien an die Hamas weiterverkauft worden. Angeblich hätten BBC und Bellingcat darüber berichtet. „Eine besonders perfide Behauptung, denn sie unterstellt, die Ukraine sei so korrupt, dass sie selbst die für ihre eigene Verteidigung gelieferten Waffen für einen materiellen Vorteil verhökere – und dies auch noch an die Hamas, die gerade Hunderte unschuldige Israelis ermordet hatte.“ (S. 218). Natürlich war die Geschichte frei erfunden – BBC und Bellingcat dementierten, je so etwas veröffentlicht zu haben. Dennoch verbreitete sie sich rasant in sozialen Medien. Ziel war eindeutig, die pro-ukrainische Haltung in Deutschland zu erschüttern, indem man Empörung über den Terror der Hamas auf die Ukraine abfärben ließ. Kurz darauf drehte die russische Propaganda die Stoßrichtung schon wieder: Offizielle Kreml-Stimmen ließen verlauten, „die westlichen Waffen würden von der Ukraine sogar gezielt an die Hamas verkauft“ – der Westen also unfreiwilliger Sponsor von Terrorismus. In den folgenden Wochen spitzte sich diese Kampagne zu einem größeren Narrativ zu: „Der Westen unterstützt Israel und die Ukraine – also Terror gegen Palästinenser und gegen Russland“. Damit sollten sowohl Israel-Sympathisanten als auch -Gegner manipuliert werden.
Dieses Doppelspiel führt zu Kapitel 13, doch schon hier wird klar: Russland instrumentalisiert jeden außenpolitischen Konflikt, um Stimmung gegen die Ukraine-Unterstützung zu machen. Nach dem Hamas-Angriff malte der Kreml den Teufel an die Wand, westliche Waffen in der Ukraine könnten nun im Nahen Osten auftauchen – wissend, dass das die deutsche Öffentlichkeit hochsensibilisiert, wo die Sicherheit Israels Staatsräson ist.
Weiter zeigt das Kapitel, wie Russland fortgesetzt versucht, das Bilda der Ukraine in den Dreck zu ziehen: Ständig wird kolportiert, die ukrainische Regierung sei korrupt und nationalistisch; russische Kriegsverbrechen (wie Butscha) würden geleugnet oder den Ukrainern als „False Flag“ angehängt. Die Autoren entkräften das am Beispiel Butscha detailliert: Russische Stellen behaupteten, die Leichen seien nach ihrem Abzug drapiert worden – doch Zeitstempel von Fotos bewiesen, dass die Leichen schon während der russischen Besatzung auf den Straßen lagen.
Zusammengefasst hält Kapitel 12 fest, dass Russlands aktuelles strategisches Ziel darin besteht, die deutsch-ukrainische Solidarität zu brechen und deutsche Waffenlieferungen zu verhindern oder zumindest zu reduzieren. Dafür setzt Moskau auf maßgeschneiderte Narrative: Frieden statt Krieg, eigene soziale Interessen statt fremder Konflikt, Angst vor dritter Weltkrieg, Angst vor wirtschaftlichem Ruin, Misstrauen gegen ukrainische „Undankbarkeit“ oder Korruption. Die Autoren warnen, dass viele dieser Narrative in Teilen der deutschen Gesellschaft tatsächlich verfangen haben – zumindest zeitweise. Der „Wutwinter“ blieb zwar aus, aber Demonstrationen wie im Herbst 2022 (Heizung/Wirtschaftsproteste), meist angeführt von AfD oder Linken, zeigten, dass das Potenzial da ist.
Positiv ist: Bisher konnte Russland Deutschland nicht zum Abfallen von der Ukraine bewegen. Die Regierung steht weiterhin fest an Kyjiws Seite, breite Mehrheiten tragen die Unterstützung mit, auch wenn die Sorgen groß sind. Kapitel 12 liefert jedoch das Rüstzeug zu verstehen, womit der Kreml diese Unterstützung unterminieren will, damit man in Deutschland gezielt gegensteuern kann.
Kapitel 13: Der Krieg in Gaza und die linke Propaganda des Kreml
In diesem Kapitel geht es um die Ereignisse des Gaza-Krieges 2023 und wie Russland sie propagandistisch ausschlachtet – speziell mit Blick auf ein eher linkes, antiwestliches Publikum. Die Hamas-Terrorattacke auf Israel im Oktober 2023 und der folgende Gaza-Konflikt boten dem Kreml eine neue Bühne, um den Westen zu spalten und von der Ukraine abzulenken.
Die Autoren zeigen, dass Russland zwei scheinbar widersprüchliche Narrative gleichzeitig fährt:
- Narrativ A (gegen Ukraine-Unterstützung): Wie in Kapitel 12 beschrieben, behauptete die russische Propaganda unmittelbar nach dem Hamas-Angriff, ukrainische Waffen seien bei der Hamas aufgetaucht. Diese Lüge sollte pro-israelische Kreise in Deutschland empören und so die Ukrainehilfe diskreditieren. Die Idee: Wer entsetzt über Hamas ist, könnte sich abwenden, wenn „die Ukraine Hamas hilft“ (auch wenn das völliger Quatsch ist). Nachdem westliche Stellen diese Meldung widerlegten, wurde sie dennoch in verschwörungsgläubigen Gruppen weitergetragen.
- Narrativ B (anti-westlich/anti-israelisch): Fast gleichzeitig begann der Kreml damit, die Hamas als eine Art legitimen Widerstand darzustellen – zumindest gegenüber einem bestimmten Publikum. „Via Facebook, Twitter und Podcasts wird verbreitet, dass westliche Medien die Hamas genauso falsch darstellten, wie sie das auch mit Russland täten.“. Hier bedient Russland das global-linke Narrativ, Israel sei eine „faschistisch-koloniale Besatzungsmacht“ und Hamas quasi Freiheitskämpfer. Die Propaganda sagt sinngemäß: „Schaut her, der Westen lügt über Hamas wie über uns Russen.“ Damit will man antiimperialistische Linke und pro-palästinensische Muslime auf seine Seite ziehen.
Diese Doppelstrategie wirkt auf den ersten Blick schizophren – einerseits Hamas als Terrorgruppe (die westliche Waffen bekommt) hinzustellen, andererseits Hamas als Helden. Aber sie ist gezielte Instrumentalisierung verschiedener Zielgruppen. Die Autoren schreiben: „Der Kreml versucht, Hamas-Gegner und Hamas-Sympathisanten gleichermaßen zu instrumentalisieren.“. Das verdeutlicht Russlands zynischen Ansatz: Es geht nicht um eine konsistente ideologische Linie, sondern darum, Maximum Unruhe und Zwietracht zu stiften.
Im Buch wird erwähnt, dass kurz nach Kriegsbeginn im Nahen Osten in Paris z.B. mysteriöse Aktionen stattfanden: Hände wurden in roter Farbe auf die Holocaust-Gedenkstätte gespürt, oder Särge mit französischer Flagge und Pro-Gaza-Slogans am Eiffelturm aufgestellt. Solche Provokationen wurden mutmaßlich von pro-russischen Troll-Aktionen begleitet, um Frankreich als „antisemitisch“ darzustellen oder Protest anzufachen (dieser Aspekt wird nur angedeutet).
Wichtig ist: Russlands Medien sprangen sofort auf den Israel-Hamas-Krieg an, um vom Ukrainekrieg abzulenken und neue Narrative zu spinnen. In russischen Nachrichtensendungen wurde bald mehr über Gaza als über die Ukraine berichtet – natürlich in gewohnter Verzerrung. Beispielsweise malte man aus, „die Welt stünde nun am Abgrund eines muslimisch-westlichen Krieges“, was Panik schüren sollte.
Das Kapitel heißt „linke Propaganda des Kreml“, weil insbesondere die traditionell linksgerichtete Anti-Kriegs- und Anti-Kolonial-Rhetorik vom Kreml im Gaza-Konflikt kopiert wurde. Russland stilisiert sich ja selbst gern als „anti-imperialistischer Führer“ gegen den (angeblich) kolonialen Westen. Nun behauptet es: „Die Palästinenser kämpfen gegen Kolonialismus, wir (Russland) auch – der Feind ist der gleiche Westen.“ Damit hofft Moskau, linke Friedensdemonstranten in Europa (die für Palästina auf die Straße gingen) mit seinen Positionen zu synchronisieren. Zum Teil gelang das: Einige Redner auf Pro-Gaza-Demos übernahmen tatsächlich anti-amerikanische und anti-ukrainische Töne, wie sie aus russischer Quelle stammen könnten.
Die Autoren verdeutlichen, dass Russland hier extrem schnell und opportunistisch vorging. Einen Tag nach dem 7. Oktober (Hamas-Angriff) kam bereits die erste Lüge mit Ukraine-Bezug. Kurz darauf drehten russische Staatsmedien ihre Linie – von „Hamas = vom Westen bewaffnet“ zu „Hamas = heldenhafter Widerstand“. Das zeigt: Es gibt keinen Widerspruch, den Moskaus Propaganda nicht in Kauf nähme, solange er irgendwo nützlich ist.
Für Deutschland bedeutet das konkret: Russland hat versucht, die pro-palästinensischen Proteste im Herbst 2023 auch gegen die Unterstützung der Ukraine zu lenken. Zum Beispiel tauchte auf einmal in deutschen Telegram-Kanälen die Behauptung auf, Selenskyj hätte Waffen an Israel geliefert, oder ukrainische Söldner wären in Gaza – lauter Erfindungen, die jedoch bei manchen Linken den Eindruck erwecken sollten, „die Ukraine steht auf der falschen Seite“. Parallel dazu wurde an rechtsgerichtete Gruppen (Hamas-Hasser) gesendet: „Durch eure Regierung landet euer Steuergeld bei Terroristen.“
In Summe zeigt Kapitel 13 die erstaunliche Elastizität russischer Propaganda: Der Gegner meiner Feinde wird zu meinem Freund – aber auch umgekehrt, je nachdem was passt. Der Kreml kann in seiner Medienmaschinerie problemlos von einem Tag auf den anderen das Framing wechseln. Damit stellt er westliche Demokratien vor große Herausforderungen, die oft viel langsamer reagieren. Die deutschen Sicherheitsbehörden haben die Hamas-Desinformation allerdings registriert; EUvsDisinfo (eine EU-Stelle) entlarvte um den 8./9. Oktober 2023 sofort die Fake-Meldungen über „ukrainische Waffen bei Hamas“ als russische Desinformation. Diese schnelle Gegenaufklärung ist positiv, doch leider dringt sie selten so weit vor wie die ursprüngliche Lüge.
Kapitel 13 warnt also davor, dass Russland jeden internationalen Konflikt ausnutzt, um eigene Ziele zu fördern. Gerade „die Linke“ (im weiteren Sinne: Friedensbewegte, Antiimperialisten, Dritte-Welt-Solidarische) sollten aufmerksam sein, nicht auf russische Täuschungsmanöver hereinzufallen. Denn Putins Regime selbst ist ja imperialistisch – es nutzt nur den Diskurs der Linken, wenn es ihm nützt, und kann im nächsten Moment Rechtsextreme hofieren. Die „linke Propaganda des Kreml“ ist letztlich nur die andere Seite seiner Medaille der Täuschung.
Kapitel 14: Künstliche Intelligenz und die Propaganda der Zukunft
In Kapitel 14 blicken die Autoren in die nahe Zukunft und diskutieren, wie künstliche Intelligenz (KI) Propaganda und Desinformation noch wirkungsvoller – aber auch schwerer bekämpfbar – machen könnte. KI-Tools wie generative Sprachmodelle (à la ChatGPT), Bild- und Video-KI (Deepfakes) oder Social Bots werden bereits von Staaten und Trollen experimentell eingesetzt. Das Buch gibt einen Ausblick, welche Trends sich abzeichnen (S. 234 ff.).
Ein zentrales Konzept ist das der „Hyperrealität“: KI kann Inhalte erzeugen, die so täuschend echt wirken, dass die Grenze zwischen Realität und Fiktion verschwimmt. Deepfake-Videos beispielsweise können Politiker scheinbar realistisch Dinge sagen oder tun lassen, die nie passiert sind. In einer Hyperrealität fällt es dem Publikum extrem schwer, Wahrheit von Lüge zu unterscheiden – ein ideales Szenario für Desinformanten. Die Autoren erwähnen, dass sie in Kapitel 17 nochmals darauf eingehen (Empfehlungen zum Umgang damit).
KI kann die Kapazität der Propagandamaschinerie drastisch erhöhen: „Menschengemachte und maschinengemachte Angriffe“ werden künftig Hand in Hand gehen. Etwa können mit KI sozialer Bot-Profile massenhaft erstellt werden, die viel glaubwürdiger chatten als bisherige primitive Bots. KI-Sprachmodelle könnten in sozialen Netzwerken Diskussionen beeinflussen, ohne dass sofort erkennbar ist, dass kein Mensch dahintersteht. Auch automatisierte Desinformations-Kampagnen („Astroturfing“) lassen sich durch KI skalieren – etwa Tausende leicht variierte Fake-News-Artikel generieren, die alle das gleiche Narrativ pushen, aber von unterschiedlichen „Quellen“ zu kommen scheinen.
Die Autoren warnen, dass Russland hier bereits investiert. Russische Trollfarmen könnten KI nutzen, um etwa persönlich zugeschnittene Propaganda zu erstellen. Beispiel: Ein KI-System analysiert den Social-Media-Feed einer Person und generiert genau die Verschwörungs-Memes, die zu deren Profil passen (noch extremeres Micro-Targeting als bisher).
Auch Bilder und Video-Fakes spielen eine Rolle: Schon während des Ukrainekriegs tauchten Deepfake-Videos auf (z.B. ein Fake von Selenskyj, der angeblich zur Kapitulation aufrief). Bisher erkannte man solche Fälschungen noch relativ leicht an Qualitätsmängeln – doch die KI-Entwicklung geht rasch voran. Bald könnten Echtzeit-Deepfakes in Videocalls oder Live-Streams genutzt werden, um Unruhe zu stiften (z.B. ein Fake-Video eines Anschlags inszenieren).
Das Kapitel diskutiert zudem, dass KI-gestützte Übersetzung es Propagandisten erlaubt, Content sofort in Dutzende Sprachen zu übertragen – so kann Desinformation weltweit synchron ausgespielt werden. Bisher war oft eine Verzögerung, bis ein russischer Artikel z.B. auf Deutsch verfügbar war; KI wird das eliminieren.
Ein weiterer Trend: Propagandisten könnten KI-“Proxies” einsetzen, um ihre Identität zu verschleiern. Etwa virtuelle Influencer – KI-Avatare mit scheinbar eigenem Charakter – könnten in sozialen Medien auftauchen und Meinungen beeinflussen, ohne dass klar ist, wer sie steuert.
Kapitel 14 macht deutlich, dass die Bedrohungslage durch KI sich verschärft. Gleichzeitig erwähnen die Autoren, dass KI auch genutzt werden kann, um Propaganda zu erkennen und zu bekämpfen. So könnten z.B. KI-Systeme entlarven, ob ein Video manipuliert wurde (Stichwort „Deepfake-Detektoren“) oder ungewöhnliche Posting-Muster auf Social Media entdecken, die auf Bot-Einsatz hindeuten.
Ein wichtiger Punkt ist die Regulierungs- und Verantwortungsfrage: Die Autoren fordern (bereits hier und später in den Empfehlungen) die Tech-Unternehmen in die Pflicht. Der „Munich AI Accord“ von 2024, bei dem einige Tech-Firmen Selbstverpflichtungen eingegangen sind, wird erwähnt. Aber das sei nur ein Anfang. Staaten müssen Druck machen, dass KI-Systeme mit Sicherungen gegen Missbrauch versehen werden – etwa Wasserzeichen für KI-generierte Inhalte, verpflichtende Kennzeichnung, oder sogar Limits, wer hochentwickelte generative KI nutzen darf.
Abschließend zeichnet Kapitel 14 das Szenario einer Informationsflut, in der Fakten endgültig untergehen könnten, wenn nichts unternommen wird. KI könnte sozusagen den „Tsunami der Lügen“ (aus Kapitel 5) zu einem noch höheren Pegel anschwellen lassen. Die Autoren schlagen einen alarmierenden Ton an, um klarzumachen: Hier kommt eine technische Revolution, auf die Demokratien schnellstens reagieren müssen, damit sie nicht den Boden unter den Füßen verlieren.
Kapitel 15: Eine Bilanz
In diesem Kapitel ziehen die Autoren eine Gesamtbilanz der Erkenntnisse. Sie fassen zusammen, wie verwundbar Deutschland und westliche Demokratien gegenüber Russlands Informationskrieg geworden sind – aber auch, wo es Widerstandskräfte gibt.
Die zentrale Feststellung: „Deutschland steht im Mittelpunkt russischer Einflussoperationen. Moskau versucht aktiv, auf verschiedenen Ebenen illegitim auf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft einzuwirken.“. Der „Instrumentenkasten Russlands“ reicht von Spionage über Cyberangriffe bis zu Desinformationskampagnen und Wahleinmischung (S. 287-288). Das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages kam im März 2024 zu dem drastischen Schluss, Deutschland müsse sich „deutlich robuster, resilienter und wehrhafter aufstellen“. Bisher reichten die traditionellen Mittel der Sicherheitsbehörden „nicht mehr aus“, da Russland eine ganzheitliche Strategie verfolge (S. 287-288). Die Autoren schließen sich diesem Fazit an.
Die Bilanz zeigt: Das Bewusstsein wächst, aber die Taten hinken hinterher. Einerseits ist mittlerweile öffentlich anerkannt (durch solche Stellungnahmen des Bundestagsgremiums oder durch Umfragen), dass Desinformation eine massive Gefahr darstellt. Andererseits wurden bislang in Deutschland „viel zu wenig“ Maßnahmen ergriffen, um dem zu begegnen. Während z.B. in den baltischen Staaten oder Finnland seit Jahren systematisch gegen russische Propaganda vorgegangen wird (Medienkompetenz-Programme, spezialisierte Behörden), steckt Deutschland hier noch in den Anfängen.
Kapitel 15 betont, dass kein Einzelaspekt isoliert betrachtet werden darf. Oft tendieren Behörden dazu, entweder Cyberangriffe oder Extremismus oder Spionage zu verfolgen – aber Russlands Hybridstrategie verbindet all das. Deshalb braucht es einen ganzheitlichen Ansatz (holistic approach), der die verzahnten Attacken als Gesamtbild versteht.
Die Bilanz der Autoren ist ernüchternd: „Man muss leider sagen: viel zu wenig wird getan.“ (S. 288). Bisher reagiert Deutschland meist reaktiv und fragmentiert auf Desinformationskampagnen. Es fehlt eine klare Führung und Koordination. So gibt es zwar z.B. bei der Bundeswehr und im Auswärtigen Amt kleine Einheiten, die Desinformation analysieren, aber keine zentralisierte Task-Force. Die vorhandenen Experten sind zu wenige und verstreut in verschiedenen Ressorts.
Ein Zahlenvergleich in der Bilanz verdeutlicht dies: Der Kreml gibt geschätzt 4–6 Milliarden Dollar pro Jahr für seinen Informationskrieg aus (inklusive Medien, Trollfabriken, Geheimdienst-Operationen). Die gesamte europäische EU-StratCom (Gegendesinfo-Einheit) hat aber ein Jahresbudget von nur 12 Millionen Euro. Das ist verhältnismäßig nichts. Deutschland selbst hat hunderte Milliarden Verteidigungsausgaben, Zehntausende Cybersecurity-Experten – aber eben nur „eine Handvoll Fachleute für den Informationskrieg“. Diese Schieflage muss dringend korrigiert werden.
Kapitel 15 ist somit der Übergang zu konkreten Empfehlungen. Die Autoren resümieren: Wir stehen einem kontinuierlichen, umfassenden Angriff gegenüber, der unsere Demokratie im Kern treffen soll. Es gibt kein Patentrezept, sondern wir brauchen einen „breiten Instrumentenkasten defensiver und offensiver Maßnahmen“ (S. 289). Und wir brauchen einen Mechanismus, um im Einzelfall die bestmögliche Reaktion zu wählen. Hier führen sie das Leitbild der „wehrhaften Demokratie“ ein: Deutschland hat historisch das Prinzip, sich gegen Feinde der freiheitlichen Grundordnung zu wehren – dies müsse man auf den Informationsraum übertragen.
Das Kapitel schließt mit einer Auflistung, welches Fazit sich aus den Entwicklungen ergibt – quasi eine knappe Zusammenfassung aller vorigen Kapitel als Sprungbrett für die Empfehlungen (in [45] sieht man den Hinweis darauf). Dieses Fazit lautet vereinfacht: Russlands hybrider Krieg ist eine permanente Realität, wir haben ihn zu lange unterschätzt, jetzt gilt es umfassend gegenzusteuern.
Kapitel 16: Was tun wir? Was tun andere Länder?
Kapitel 16 schaut vergleichend auf Deutschlands bisherige Maßnahmen und auf Beispiele aus dem Ausland. Es stellt sich heraus, dass andere demokratische Staaten oft proaktiver gegen Desinformation vorgehen, während Deutschland Nachholbedarf hat.
Die Autoren nennen etwa:
- Baltische Staaten & Ukraine: Länder, die direkt an Russland grenzen oder bereits Ziel massiver Kampagnen waren, haben früh Gegenstrategien entwickelt. In Estland, Lettland, Litauen gibt es z.B. Medienkompetenzprogramme in Schulen, staatliche Stellen, die Fake News debunken, und auch rechtliche Schritte (z.B. wurden dort RT und Sputnik sehr früh verboten). Die Ukraine hat seit 2014 große Erfahrung im Abwehren russischer Info-Angriffe – z.B. sperrte sie russische Social-Media-Seiten wie VKontakte bereits 2017. Auch entstand dort eine lebhafte Zivilgesellschaft von Fact-Checkern und OSINT-Aktivisten (wie Bellingcat und ukrainische Gruppen), die russische Lügen aufdecken.
- Finnland und Schweden: Finnland gilt als Musterschüler in Resilienz. Man spricht dort von „Informationsverteidigung“ als Teil der Gesamtverteidigung. Schon Grundschüler lernen, Medien kritisch zu hinterfragen. Schweden hat 2018 eine Behörde für psychologische Verteidigung wiedergegründet, um Bevölkerung und Regierung gegen Einflussoperationen zu wappnen.
- Frankreich: Hat 2018 ein Gesetz gegen „Fake News“ rund um Wahlen verabschiedet, um Desinformation im Wahlkampf schneller entfernen zu können. Außerdem legte Frankreich 2023 die Plattform Viginum auf, die social-media-Analysen durchführt (diese war z.B. an der Aufdeckung der „Doppelgänger“-Kampagne beteiligt).
- USA: Nach 2016 reagierten die USA mit verschiedenen Maßnahmen: u.a. Untersuchungsausschüsse (der SSCI-Bericht, der die IRA-Tweets enthüllte), Sanktionen gegen russische Trollfarmen und Propagandisten, und Gründung des Global Engagement Center (GEC) im State Department, das Desinformation international beobachtet und bekämpft. (Das Buch erwähnte GEC im Kontext einer russischen Kampagne in Lateinamerika.)
Deutschland hat durchaus einige Schritte unternommen:
- Gesetzlich: Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) von 2018, das Social Media verpflichtet, strafbare Inhalte schnell zu löschen. Allerdings greift das nur bedingt bei Desinformation, die nicht direkt strafbar ist.
- Institutionell: Der Bundesnachrichtendienst hat eine Einheit für „Erkenntnisse im Informationsraum“ geschaffen; das Auswärtige Amt hat die Abteilung „Stratcom“ (strategische Kommunikation); im Kanzleramt gibt es seit 2022 einen „Abteilungsleiter für gesellschaftliche Zusammenhalt“ (der sich auch mit Desinfo befasst). Aber diese Strukturen sind zersplittert.
- Zusammenarbeit: Deutschland arbeitet im EU-Rahmen mit (bei EUvsDisinfo z.B.), und im NATO-Rahmen (der NATO StratCom Task Force).
- Zivilgesellschaft: Es gibt Faktenchecker wie Correctiv, Organisationen wie die Gegneranalyse oder die Faktenstelle der GKV gegen Gesundheitsmythen. Aber vieles davon ist klein und wenig koordiniert.
Die Autoren legen dar, dass andere Länder mutiger innovieren. Sie weisen z.B. auf verpflichtende Identitätsnachweise auf Social Media hin, die einige vorschlagen. In Südkorea existiert eine Variante davon schon lange. Oder „Prebunking“: In den USA und UK wurden Versuche gestartet, die Bevölkerung prophylaktisch über kommende Desinformationskampagnen aufzuklären (Inokulationstheorie). Etwa kleine Clips, die erklären, wie Propaganda funktioniert, bevor die nächste Welle kommt.
Ein weiteres Beispiel: Litauen im Jahr 2017. Als dort russische Medien eine Fake-Story über angebliche Vergewaltigungen durch NATO-Soldaten verbreiteten (analog zu Fall Lisa), reagierten Regierung und Medien extrem schnell mit Debunking – so verpuffte der Einfluss (im Buch erwähnt, dass die Wirkung „nicht so groß wie bei Lisa“ war).
Kapitel 16 zeigt also, was möglich ist, wenn ein Land die Bedrohung ernst nimmt: Bildung, öffentliche Aufklärung, rechtliche Schritte, internationale Kooperation, Tech-Regulierung. Deutschland hinkt da teils hinterher, aber kann von den anderen lernen. Einige Absätze widmen sich vermutlich auch dem Thema Verantwortung der Plattformen – hier schaut man etwa in die USA (dort wurden Twitter, Facebook ja in die Pflicht genommen im Kongress) und nach Brüssel (der neue Digital Services Act der EU verlangt mehr Transparenz von Plattformen zu Desinformation).
Insgesamt bereitet dieses Kapitel den Boden für Kapitel 17, indem es sagt: „Andere tun bereits dies und jenes – wir sollten dringend nachziehen.“ Beispielsweise könnten wir analog zu Finnland Medienbildung ausbauen, analog zu Frankreich Wahlkampf-Desinformation gesetzlich anpacken, analog zu Baltikum russische Staatsmedien konsequent verbieten, analog zu USA Sanktionen gegen Desinfo-Akteure verhängen usw.
Ein gewisses Lob mag es für einige ersten Schritte geben (z.B. das BMVg setzt auf Prebunking, oder die Bundeszentrale für politische Bildung hat Material zu Fake News entwickelt). Aber der Tenor ist: Deutschland reagiert immer erst nach Skandalen (z.B. nach dem großen Bundestagshack 2015, oder erst nachdem RT DE lange sendete). Diese reaktive Haltung gilt es abzulegen zugunsten einer proaktiven, wehrhaften Demokratie.
Kapitel 17: Empfehlungen für eine wehrhafte Demokratie
Im abschließenden Kapitel präsentieren die Autoren einen Katalog an Empfehlungen, wie Deutschland sich gegen den russischen Informationskrieg wappnen kann. Sie fordern einen Mut zur wehrhaften Demokratie im digitalen Zeitalter (S. 289). Dabei betonen sie, dass es nicht die eine Wunderlösung gibt, sondern ein ganzes Bündel von Maßnahmen notwendig ist.
Die Empfehlungen (vereinfachend zusammengefasst) lauten im Wesentlichen:
1) Informationsmanipulation als Sicherheitsfrage behandeln:
Die Autoren fordern, dass Desinformation als vorrangiges nationales Sicherheitsproblem anerkannt wird. Bisher wird es eher als Medien- oder Bildungsthema gesehen. Stattdessen muss klar sein: „Russland greift den Kern unserer Demokratie an […] Wir dürfen diese massive Bedrohung nicht mehr wie einen Seitenaspekt behandeln.“ (S. 290). Konkret heißt das, Regierung und Parlamente sollten dem Thema Priorität einräumen – z.B. regelmäßige Lageberichte einfordern, es auf die Agenda des Sicherheitskabinetts setzen, usw.
2) Holistischer Ansatz – gesamtheitliche Strategie entwickeln:
Deutschland braucht eine umfassende Gesamtstrategie, die die hybride Kriegsführung Moskaus in Gänze spiegelt. Schluss mit dem „Kästchendenken“ – derzeit erkennen wir einzelne Elemente (Fall Lisa, Hackerangriff hier, Propaganda dort), „aber wir sehen häufig nicht das ganze Bild.“. Die Empfehlung ist, eine zentrale Koordinationsstelle zu schaffen, die alle Infos bündelt und Gegenmaßnahmen steuert (viele Experten plädieren z.B. für einen „Beauftragten für Hybride Bedrohungen“ im Kanzleramt).
3) Viel mehr Ressourcen für Aufklärung und Analyse bereitstellen:
Die Autoren kritisieren, dass Deutschland nur eine Handvoll Experten zum Thema hat, während der Kreml Milliarden investiert. Sie empfehlen, dringend Personal und Mittel aufzustocken. Warum nicht 50 oder 100 Fachleute einstellen wie andere Länder? (S. 290). Jede Behörde, die damit zu tun hat (Verfassungsschutz, BND, AA, BKA etc.), sollte ihre Analysefähigkeiten ausbauen. Die Autoren nennen explizit den Fall des Doppelgänger-Netzwerks, das nur dank eines einzelnen Experten im AA entdeckt wurde – „Wie viel mehr wüssten wir, wenn wir Dutzende solcher Experten hätten?“.
4) Die richtigen Formate in den Mittelpunkt rücken:
Faktenchecker konzentrieren sich oft auf Twitter, weil Text leicht analysierbar ist. Aber Desinformation verbreitet sich immer öfter per Video (TikTok) oder in geschlossenen Gruppen (Telegram). Empfehlung: Mehr Fokus auf Video-Analyse und Messaging-Dienste. Wir brauchen mehr Experten und Tools, um z.B. virale Videos auf Fake zu prüfen (z.B. via KI-Video-Forensik). Auch Telegram darf nicht weiter ein rechtsfreier Raum sein – deutsche Behörden sollen stärker durchgreifen, illegale Inhalte ahnden und notfalls Druck auf den Betreiber ausüben. Kurz: Weg von der Fixierung auf Facebook/Twitter, hin zu TikTok/YouTube/Telegram, wo viel Schaden passiert.
5) KI-Kompetenz ausbauen:
Es fehlt an Spezialisten für die Abwehr von KI-basierten Desinformationen. Die Regierung sollte rasch Expertise aufbauen, um z.B. Deepfakes zu erkennen und gegenzusteuern. Außerdem müssen Tech-Firmen in die Verantwortung genommen werden, sichere KI-Standards einzuhalten. Etwa Verpflichtungen zur Kennzeichnung KI-generierter Inhalte (so wie es der Munich AI Accord vorsieht). Diese Entwicklung nicht zu verschlafen ist essenziell, sonst überrollt uns die nächste Welle an Fake Content.
6) Verpflichtende Identitätsverifizierung auf Social Media einführen:
Die Autoren schlagen vor, anonyme Bots und Trolle dadurch einzudämmen, dass Plattformen gewisse Identitätsnachweise verlangen. Das muss nicht heißen, dass jeder Klarnamen stehen hat – aber z.B. dass Betreiber wissen, wer hinter einem Account steckt, und automatisierte Massen-Accounts nicht ohne weiteres möglich sind. So könnten Troll-Armeen zumindest erschwert werden. Dieser Vorschlag ist politisch umstritten (Datenschutz vs. Sicherheit), aber einige Experten halten ihn für notwendig.
7) Härtere Regulierung und Kooperation mit Plattformen:
Die großen Netzwerke sollten verpflichtet werden, proaktiv Desinformation zu erkennen und zu melden – ähnlich wie bei Terrorinhalten. Zudem braucht es transparente Algorithmen: Es sollte offengelegt werden, wenn z.B. staatlich gesteuerte Accounts Inhalte pushen. Die EU macht hier Schritte (DSA), aber national kann man z.B. Bußgelder erhöhen, wenn Netzwerke offensichtliche Fake-Accounts nicht entfernen.
8) Bildung und Resilienz der Gesellschaft stärken:
Ein ganz wesentlicher Punkt: Aufklärung der Bevölkerung. Medienkompetenz muss fester Bestandteil von Schulcurricula sein. Erwachsenenbildung, Kampagnen, öffentlich-rechtliche Sender können helfen, „Impfungen“ gegen Desinformation zu vermitteln. Die Autoren erwähnen das Prinzip „Prebunking“ bzw. Inokulation: Bereits im Vorfeld eines erwartbaren Fake-Narrativs die Fakten publizieren und warnen („Achtung, in nächster Zeit könnten Sie hören, … – glauben Sie es nicht!“). Auch empfehlen sie, dass Regierungen schneller und offensiver richtigstellen sollten („Debunking“), sobald Falschbehauptungen kursieren. Dazu braucht es aber Monitoring und dann eine klare Kommunikationsstrategie – beides muss aufgebaut werden.
9) Offensive Maßnahmen prüfen:
Wehrhafte Demokratie heißt nicht nur verteidigen, sondern ggf. auch zurückschlagen. Diskutiert werden z.B. Gegenpropaganda (westliche Akteure könnten gezielt russische Lügen narrativ entkräften – oder sogar russische Bevölkerung mit Wahrheit ansprechen via Auslandssender), Sanktionen (gezielte Strafmaßnahmen gegen Desinformationsakteure wie Oligarch Malofejew oder Firmen wie NTC Vulkan, die Tools bereitstellen), oder Cyber-Gegenangriffe auf Trollfarmen etc. Solche offensiven Maßnahmen sind heikel, aber die Autoren plädieren dafür, sie zumindest in den Werkzeugkasten aufzunehmen, um Angreifer abzuschrecken.
10) EU- und NATO-Kooperation intensivieren:
Deutschland soll sich in EU und NATO stärker für gemeinsame Abwehr einsetzen. Z.B. gemeinsame Informationslagezentren schaffen, best practices austauschen, eine Art „Article 5“ für hybride Angriffe definieren (also Solidarität vereinbaren, wenn ein Land stark betroffen ist). Besonders mit Ländern wie den baltischen Staaten oder Finnland sollte man eng kooperieren und von ihnen lernen.
Der Ton des Kapitels ist energisch: Die Autoren appellieren an Politik, Medien und Bürger, den Ernst der Lage zu begreifen und Mut zu zeigen. „Falsehood flies, and truth comes limping after it“ – aber wir müssen der Wahrheit helfen, schneller auf die Beine zu kommen. Die wehrhafte Demokratie muss das digitale Schlachtfeld nicht der Lüge überlassen.
Abschließend betonen sie, dass es nicht um Einschränkung der Meinungsfreiheit, sondern um deren Schutz geht. Putin zielt darauf ab, unsere freie Meinungsbildung zu zerstören; wenn wir nichts tun, würden wir Freiheit und Demokratie verlieren. Die vorgeschlagenen Maßnahmen – so umfangreich sie sind – dienen also dem Erhalt einer offenen Gesellschaft gegen einen autoritären Angriff von außen und innen.
Das Dossier endet mit der eindringlichen Botschaft: Jetzt ist die Zeit zu handeln, bevor es zu spät ist. So wie Arndt Freytag von Loringhoven im Vorwort zitiert wird: „Die von Moskau ausgehende Bedrohung […] ist real, massiv und mitten unter uns. Wir müssen endlich aufwachen und uns wehren – bevor es zu spät ist.“ (Buchdeckel).
Quellen: Die Inhalte und Zitate in diesem Dossier stammen aus: Arndt Freytag von Loringhoven / Leon Erlenhorst, Putins Angriff auf Deutschland – Desinformation, Propaganda, Cyberattacken, Ullstein 2024. Alle direkten Zitate sind mit Seitenangabe belegt. (Beispielsweise steht (S. 125) für Seite 125 des Buchs.)
Sehr gerne – ich fasse dir zuerst die wichtigsten Narrative mit passenden Gegenargumenten zusammen und gehe dann gezielt auf die Kapitel zu Deutschland, KI-Propaganda und Medien ein.
🧩 1) Wichtigste Narrative aus dem Buch – mit Gegenargumenten
Narrativ | Gegenargument / Entkräftung |
---|---|
Russland verteidigt nur legitime Interessen gegen den Westen. | Russland führt offensive, völkerrechtswidrige Kriege (z.B. Georgien, Ukraine), nicht defensive. NATO und EU bedrohten Russland nicht aktiv. |
NATO-Osterweiterung war Verrat an Russland. | NATO-Beitritte waren freiwillige Entscheidungen souveräner Staaten aus Angst vor russischem Imperialismus. Gorbatschow selbst bezeichnete Zusagen gegen Erweiterung später als „Mythos“. |
Ukraine gehört historisch zu Russland, sie ist kein eigenständiger Staat. | Die Ukraine ist seit 1991 international anerkannt. Geschichtliche Narrative sind vorgeschoben, um Expansion zu rechtfertigen. |
Farbrevolutionen in Georgien, Ukraine, Kirgistan: CIA-Operationen. | Demokratien entstanden durch innere Proteste gegen Korruption und Autokratie, nicht durch US-Planung. |
Der Westen ist dekadent, schwach, wird bald zerfallen. | Demokratien haben sich als stabiler erwiesen als autokratische Regime. Der russische Staat leidet selbst unter massiver Korruption und wirtschaftlicher Stagnation. |
Putin ist ein Friedenspolitiker – nur provoziert durch den Westen. | Putin hat aktiv Konflikte geschürt (Tschetschenien, Georgien, Syrien, Ukraine). Friedensrhetorik dient der Ablenkung. |
Russische Medien sollen Meinungsvielfalt bieten. | RT DE und Sputnik sind vom Kreml kontrollierte Instrumente der Einflussnahme, keine unabhängigen Informationsquellen. |
Der Krieg gegen die Ukraine war nötig, um russische Bevölkerung zu schützen. | Kein Genozid an Russen in der Ukraine nachweisbar, Angriff war völkerrechtswidrig. |
Die USA wollen Russland zerstören. | Die USA haben nach 1991 Russland Milliardenhilfen gewährt. Der Vorwurf ist Teil eines Verschwörungsnarrativs. |
🇩🇪 2) Kapitel-Fokus: Deutschland im Visier
Zentrale Punkte:
- Deutschland ist Hauptziel russischer Informationsoperationen in Europa.
- Alle polarisierenden Debatten (Migration, Covid, Ukraine, Gaza) wurden von russischen Akteuren intensiv bearbeitet.
- Russische Staatsmedien wurden verboten, aber Inhalte wanderten auf Telegram, TikTok und YouTube.
- Deutsche Gesellschaft unterschätzt weiterhin die Bedrohung.
- Propaganda richtet sich vor allem gegen:
- Unterstützung der Ukraine
- Vertrauen in Regierung und Medien
- gesellschaftlichen Zusammenhalt
- Ziel: Polarisierung, Demokratieerschöpfung, Aushöhlung der NATO-Unterstützung.
Besonders relevante Akteure:
- RT DE
- Sputnik
- Telegram-Kanäle prorussischer Aktivisten
- Bot-Netze in sozialen Medien
🤖 3) Kapitel-Fokus: KI-Propaganda
Zentrale Punkte:
- Künstliche Intelligenz beschleunigt und perfektioniert die Verbreitung von Desinformation.
- Deepfakes werden immer realistischer.
- KI kann auf Nutzerprofile zugeschnittene Inhalte massenhaft erstellen (Hyper-Targeting).
- Russland investiert massiv in diese Technologien.
- Besonders gefährlich: Deepfake-Videos prominenter Politiker, um Vertrauen zu zerstören.
Beispiele:
- Fake-Zitate westlicher Politiker.
- KI-generierte Berichte über angebliche Kriegsverbrechen.
- Automatisierte Manipulationstrends (z.B. #BiolabsInUkraine).
📲 4) Kapitel-Fokus: Medien und neue Plattformen
Zentrale Punkte:
- Klassische TV-Sender (RT, Sputnik) nur ein Teil des Systems.
- Heute wichtiger: Memes, Videos und Kurzclips auf TikTok, Instagram und Telegram.
- Verbreitung oft indirekt über Multiplikatoren („Influencer“, Verschwörungsszene).
- Plattformen sind schwer zu regulieren.
- Verstärker-Netzwerke aus Fake-Accounts, Trollfabriken, Bots.
Strategie:
- Massenhafte Wiederholung („Firehose of Falsehood“).
- Emotionalisierung.
- Themen-Hijacking bei aktuellen Krisen.
- Diskreditierung seriöser Medien als „Lügenpresse“.
🛡️ 5) Handlungsempfehlungen aus dem Buch
Das Buch schließt mit Empfehlungen für demokratische Abwehrmaßnahmen:
- strategische Aufklärung und Monitoring von Einflussoperationen.
- Förderung von Medienkompetenz („Digital Literacy“).
- klare Regulierung von Plattformen gegen Botnetze und Fake-Accounts.
- Koordination der europäischen Staaten.
- Transparenzpflichten für politische Werbung.
- Unterstützung unabhängiger Journalisten.
- Schutz kritischer Infrastrukturen gegen Cyberattacken.
Hier eine kompakte Zusammenfassung der wichtigsten Namen, Länder, Städte, Akteure, Einflussnehmer, Wirkweisen und Begriffe aus dem Buch Putins Angriff auf Deutschland – Desinformation, Propaganda, Cyberattacken von Arndt Freytag von Loringhoven und Leon Erlenhorst:
🌍 Länder & Regionen
- Russland – Ausgangspunkt hybrider Angriffe
- Deutschland – Hauptziel Putins Informationskrieg in Europa
- Ukraine – „Testlabor“ für Propaganda, militärischer Kriegsschauplatz
- Georgien, Syrien, Moldau – frühere Operationsgebiete
- Baltikum, Polen, Osteuropa – besonders bedroht
- USA – Ziel groß angelegter Einflussoperationen (z.B. Clinton-Emails)
- Kasachstan, Moldawien – potentielle nächste Ziele imperialer Ambitionen
🏛️ Wichtige Personen
- Wladimir Putin – russischer Präsident, treibende Kraft hinter hybriden Angriffen, Ziel: Wiederherstellung imperialer Größe
- Gerhard Schröder – Ex-Kanzler, prägte Image vom „lupenreinen Demokraten“
- Alexej Nawalny – ermordeter Regimekritiker
- Anna Politkowskaja, Boris Nemzow – ermordete Kritiker
- Alexander Dugin – Ideologe der „Eurasischen Großmacht“
- Wladislaw Surkow – Architekt der „gelenkten Demokratie“
- Michail Chodorkowski – enteigneter Oligarch, politischer Gegner
- Donald Trump – wird als Faktor der westlichen Destabilisierung gesehen
- Steve Covington – NATO-Berater, analysiert Putins Konfrontationsstrategie
- Rolf Mützenich – deutscher Politiker, erwähnt bzgl. Ukraine-Verhandlungsforderungen
📰 Medien und Plattformen
- RT DE, Sputnik – russische Staatsmedien, in Deutschland verboten
- Telegram, TikTok, YouTube, Facebook, Twitter – wichtigste Distributionskanäle für Desinformation
- Microsoft Threat Analysis Center (Miburo) – Quelle für Analyse russischer Kampagnen
🕸️ Strukturen & Wirkweisen
- Hybrider Krieg
- Kombination aus:
- Desinformation
- Propaganda
- Cyberattacken
- nuklearen Drohungen
- Kombination aus:
- „Russkij Mir“ (Russische Welt)
- Ideologie, wonach Russland überall dort eingreifen darf, wo russische Minderheiten leben
- Bot-Netzwerke
- Automatisierte Massenverbreitung prorussischer Inhalte
- „Gelenkte Demokratie“
- System der inneren Machtsicherung
- Verschwörungserzählungen
- z.B. Ukraine oder CIA seien für Morde verantwortlich
- Narrative
- NATO als Aggressor
- Westen dekadent und schwach
- Russland als Verteidiger traditioneller Werte
🎯 Taktische und strategische Ziele
- Spaltung westlicher Gesellschaften
- Unterminierung der Demokratie
- Schwächung der Unterstützung für die Ukraine
- Auflösung der EU- und NATO-Geschlossenheit
- Revanche für den Zerfall der Sowjetunion
- langfristig: Wiederherstellung russischer Dominanz über Ex-Sowjetrepubliken
🛡️ Beispiele für hybride Operationen
- US-Wahlen 2016: Hack und Leak von Clinton-Emails
- Ukraine-Krieg: Propaganda über „Nazis“ in Kiew
- Covid-19: Desinformation über Impfstoffe
- Gaza-Krieg: gezielte Kampagnen gegen westliche Narrative
- Attentat auf Trump 2024: russische Narrative, Biden habe Anschlag geplant
Sehr gern – hier bekommst du alle drei gewünschten Formate in strukturierter Form:
✅ 1) Tabellarische Übersicht zentraler Akteure & Rollen
Akteur / Institution | Rolle / Funktion im russischen Einflussnetz |
---|---|
Wladimir Putin | Politischer Hauptentscheider, treibende Kraft hinter imperialistischer Agenda, persönlicher Macht- und Revancheanspruch |
RT (Russia Today), RT DE | Staatlicher Auslandssender, internationale Propaganda, Einfluss auf Meinungsbildung |
Sputnik | Staatsmedium, Nachrichtenportal zur Verbreitung prorussischer Narrative |
Wladislaw Surkow | Ideologe der „gelenkten Demokratie“, Spin-Doctor Putins |
Alexander Dugin | Vordenker eurasischer Ideologie, rechtfertigt Expansion & antiwestliche Feindbilder |
Trollfabriken (u.a. „Internet Research Agency“) in St. Petersburg | Verbreitung von Fake-Accounts, Trolling, Spaltung westlicher Gesellschaften |
Telegram-Kanäle prorussischer Netzwerke | Schnelle, schwer kontrollierbare Plattformen für Desinformation (z.B. bei Covid, Ukraine, Migration) |
Bot-Netze auf Twitter, Facebook, YouTube | Automatisierte Massenverbreitung von Desinformation |
Russisches Verteidigungsministerium & Geheimdienste (GRU, FSB) | Cyberattacken, strategische Steuerung hybrider Operationen |
Izborski Club | Ultranationalistische Ideologenrunde (Dugin, Prochanow, Glasjew) |
Russische Orthodoxe Kirche (teilweise) | Legitimierung imperialer Narrative (Russkij Mir) |
Microsoft Threat Analysis Center / Miburo | Analysiert russische Einflussoperationen (Gegenpart) |
Nationale Sicherheitsapparate westlicher Staaten (z.B. BND, Verfassungsschutz, NATO) | Aufklärung und Abwehr hybrider Angriffe |
Putin-nahe Oligarchen & Netzwerke | Finanzierung, Rückhalt, wirtschaftlicher Hebel (Energie, Rohstoffe) |
✅ 2) Tiefere Analyse ausgewählter Narrative
Hier ein paar Narrative im Detail – mit Kontext und psychologischen Mechanismen:
🟥 Narrativ 1: „Russland wird vom Westen bedroht und muss sich verteidigen“
- Kontext: NATO-Osterweiterung, Farbrevolutionen, EU-Annäherung osteuropäischer Länder
- Psychologische Wirkung: Nationaler Schulterschluss, Angst, Legitimation aggressiver Außenpolitik
- Strategisches Ziel: Rechtfertigung imperialistischer Expansion (Ukraine, Georgien)
- Faktische Entkräftung:
- NATO ist ein defensives Bündnis.
- Beitritte osteuropäischer Länder erfolgten freiwillig.
- 1994 Budapest Memorandum garantierte der Ukraine Schutz im Austausch für Atomwaffenverzicht.
- Besonderheit: Dieses Narrativ ist der Kern des russischen Opfermythos.
🟥 Narrativ 2: „Die Ukraine ist kein Staat, sondern historisch Teil Russlands“
- Kontext: „Russkij Mir“-Ideologie, Bezug auf Kiewer Rus
- Psychologische Wirkung: Legitimierung der Annexion
- Strategisches Ziel: Delegitimierung ukrainischer Souveränität
- Faktische Entkräftung:
- Ukraine ist seit 1991 international anerkannt.
- 1994 Sicherheitsgarantien.
- Völkerrechtlich keine Grundlage für Gebietsansprüche.
🟥 Narrativ 3: „Der Westen ist dekadent, moralisch bankrott“
- Kontext: Rechtfertigung russischer „traditioneller Werte“
- Psychologische Wirkung: Überlegenheitserzählung, Abwertung westlicher Demokratien
- Strategisches Ziel: Polarisierung westlicher Gesellschaften, Stärkung Autokratieimage
- Faktische Entkräftung:
- Demokratische Systeme sind trotz Krisen resilienter als autokratische.
- Russland leidet unter Korruption und wirtschaftlicher Stagnation.
🟥 Narrativ 4: „Die CIA steuert Revolutionen (Farbrevolutionen, Maidan)“
- Kontext: Farbrevolutionen 2003–2005, arabischer Frühling
- Psychologische Wirkung: Misstrauen in Zivilgesellschaft und Protestbewegungen
- Strategisches Ziel: Diskreditierung demokratischer Bewegungen
- Faktische Entkräftung:
- Bewegungen entstanden aus Protest gegen Korruption, nicht US-Planung.
- Belege für Steuerung fehlen.
🟥 Narrativ 5: „Kritik an Russland ist nur westliche Propaganda“
- Kontext: Medienberichte zu Menschenrechtsverletzungen
- Psychologische Wirkung: Opfermentalität, Abschottung
- Strategisches Ziel: Diskreditierung kritischer Medien, Legitimation von Zensur
- Faktische Entkräftung:
- Menschenrechtsverletzungen sind durch zahlreiche unabhängige Quellen belegt.
- NGOs wie Memorial dokumentieren Fälle seit Jahrzehnten.
✅ 3) Toolkit für Gegenargumente in Debatten
Hier ein kompaktes Set von Repliken und Fakten – geeignet für Diskussionen, Social Media oder Vorträge:
💬 Argument:
„Russland musste angreifen, weil die NATO immer näher gerückt ist.“
✅ Antwort:
„Die NATO hat keine Staaten gezwungen beizutreten – sie sind freiwillig wegen russischer Aggressionen beigetreten. Russland hat die Charta von Paris unterzeichnet, die jedem Land freie Bündniswahl zusichert.“
💬 Argument:
„Die Ukraine ist doch immer russisch gewesen.“
✅ Antwort:
„Die Ukraine ist seit 1991 ein unabhängiger Staat und Mitglied der UNO. Geschichte ist keine Rechtfertigung für einen Angriffskrieg.“
💬 Argument:
„Der Westen ist doch genauso imperialistisch.“
✅ Antwort:
„Auch der Westen verfolgt Interessen. Aber die NATO hat nie russisches Territorium angegriffen, Russland dagegen mehrere Nachbarstaaten.“
💬 Argument:
„Das sind alles nur Lügen der westlichen Medien.“
✅ Antwort:
„Berichte zu Angriffen, Repression und Propaganda stammen aus vielen unabhängigen Quellen – OSZE, Amnesty, Memorial, Levada-Zentrum. Nicht alles sind westliche Medien.“
💬 Argument:
„Russische Medien bringen nur die andere Perspektive.“
✅ Antwort:
„RT und Sputnik sind direkt vom Kreml gesteuert und strategische Instrumente im Informationskrieg, keine unabhängigen Nachrichtenanbieter.“
💬 Argument:
„Putin will nur sein Land schützen.“
✅ Antwort:
„Er hat 2008 Georgien, 2014 und 2022 die Ukraine angegriffen und Assad in Syrien unterstützt – das ist nicht Verteidigung, sondern Expansion.“
💬 Argument:
„Wir sollten uns da raushalten.“
✅ Antwort:
„Wenn Russland Erfolg hat, zeigt es: Gewalt lohnt sich. Das gefährdet langfristig die Sicherheit ganz Europas.“