Gute Frage — und ja, da wird gerade viel durcheinandergeworfen. Hier ist der Stand der Dinge, sauber getrennt in „wo wir stehen“, „was das 1,5-Grad-Ziel genau bedeutet“, „was realistisch zu erwarten ist“ und „was übertrieben ist“.
Wo stehen wir gerade?
- Letzte 12 Monate: Aug 2024–Jul 2025 lagen im Schnitt ≈ 1,53 °C über vorindustriell (1850–1900). Das ist temporär über 1,5 °C, aber noch keine „dauerhafte“ Überschreitung im Parissinne. (Copernicus Klimadienst)
- Jahr 2024: global wärmstes Jahr seit Messbeginn; best-estimate ≈ 1,52–1,55 °C über vorindustriell. Die Dekade 2015–2024 lag bei ≈ 1,24 °C. (World Meteorological Organization, Reuters, ESSD)
- Nächste 5 Jahre: WMO sieht ≈ 70 % Wahrscheinlichkeit, dass der Fünf-Jahres-Durchschnitt 2025–2029 > 1,5 °C liegt (also ein vorübergehendes Überschreiten als Mehrjahresmittel). (World Meteorological Organization)
- CO₂-Konzentration: 2024 im globalen Mittel ≈ 422–423 ppm (Neurekord). (Climate.gov)
- Emissionen: Fossile CO₂-Emissionen 2024 auf Rekord: ≈ 37,4 Gt (+0,8 %). (Global Carbon Budget, ESSD)
Was bedeutet das 1,5-Grad-Ziel wirklich?
- Das Paris-Ziel bezieht sich auf die langfristige globale Mitteltemperatur (typisch als mehrjährige bis ~20-jährige Mittelung verstanden) relativ zu 1850–1900. Ein einzelnes Jahr (oder wenige Jahre) > 1,5 °C heißt nicht, dass Paris „verfehlt“ ist. (IPCC, Climate.gov)
- Ein kurzes Overshoot (vorübergehende Überschreitung) ist in manchen Paris-Interpretationen zulässig, solange die Erwärmung wieder dauerhaft unter 1,5 °C gebracht wird (durch sehr schnelle Emissionsminderungen und netto-negative Emissionen später). (climateanalytics.org)
Wie groß ist das Restbudget?
Aktualisierte, begutachtete Bestwerte (Start 2025), nur für CO₂ und ohne volle Zusatzunsicherheiten:
- Für 1,5 °C mit 50 % Chance: ≈ 130 Gt CO₂
- Mit 67 % Chance: ≈ 80 Gt CO₂
(Aktuelle fossile Emissionen ~37 Gt/Jahr zeigen die Größenordnung des Problems.) Quelle: Indicators of Global Climate Change 2024 (ESSD 2025).
Auf welchem Erwärmungspfad sind wir?
- „Current policies“ führen derzeit auf ≈ 2,5–2,9 °C bis 2100. Ambitionierte, voll umgesetzte Langfrist-/Netto-Null-Ziele könnten das auf ≈ 2,1–2,3 °C drücken – vorausgesetzt, sie werden glaubwürdig geliefert. (Climate Action Tracker, Carbon Brief)
Was sind die robusten Folgen — ohne Katastrophenrhetorik?
Schon heute (≈ 1,2–1,3 °C über vorindustriell) sind Hitzeextreme, Starkniederschläge, Dürrerisiken und Meeresspiegelanstieg nachweislich verstärkt. 2024/25 setzten Ozeanwärme, Meeresspiegel und Gletscherverlust neue Rekorde. (World Meteorological Organization)
Vergleich 1,5 °C vs. 2 °C (IPCC-Konsens):
- Hitzewellen & Niederschlags-Extrema: deutlich häufiger/intensiver bei 2 °C als bei 1,5 °C. (IPCC)
- Arktisches Meereis (sommerlich eisfrei): bei 1,5 °C ~1× pro Jahrhundert, bei 2 °C ≥ 1× pro Jahrzehnt. (IPCC)
- Korallenriffe: bei 1,5 °C Rückgang um ≈ 70–90 %; bei 2 °C > 99 % Verlust. (IPCC)
- Meeresspiegel auf sehr langen Zeitskalen: Risiko instabiler Eisschilde (Grönland/Westantarktis) nimmt zwischen ~1,5–2 °C zu – das bedeutet Jahrhunderte bis Jahrtausende zusätzlicher Anstieg, nicht abrupt morgen. (IPCC)
Was wird oft falsch dargestellt?
Mythos: „1,5 °C ist bereits verfehlt, also ist alles sinnlos.“
Fakt: Ein einzelnes Rekordjahr bedeutet nicht das dauerhafte Reißen des Ziels. Und jede Zehntelgrad weniger reduziert Risiken signifikant (Hitze-Tote, Ernteausfälle, Küstenschäden). (IPCC, Climate Action Tracker)
Mythos: „Bei 1,51 °C kippt das Klima komplett.“
Fakt: Es gibt kein magisches „Klippen-Szenario“. Risiken steigen graduell mit der Erwärmung; bestimmte Kippelemente werden wahrscheinlicher, sind aber unsicher und wirken oft über lange Zeiträume. (IPCC)
Mythos: „CO₂-Budget ist Null: zu spät.“
Fakt: Das Restbudget schrumpft schnell, ist aber noch > 0 (Bestschätzung ≈ 130 Gt CO₂ für 50 %-Chance). Je früher Emissionen sinken, desto geringer der Overshoot-Schaden und desto weniger nachträgliche CO₂-Entnahme nötig.
Was folgt praktisch daraus?
- Priorität: schneller Emissionsrückgang bis 2030/2035 (global). Das ist die einzige verlässliche Methode, um Overshoot zu begrenzen. (UNEP Emissions Gap; CAT) (climateanalytics.org, Climate Action Tracker)
- Anpassung skalieren: Hitzeschutz, Wassermanagement, Küstenschutz, Wald- und Stadtplanung – weil Extremereignisse bereits zunehmen. (IPCC AR6 WGII) (IPCC)
- Signal gegen „Katastrophismus“ UND „Verharmlosung“: nüchterne Kommunikation mit klaren Zahlen (Dekadenmittel, Budget, Pfade) — damit politische Entscheidungen nicht am Spin, sondern an der Risiko-/Kosten-Logik ausgerichtet werden. (WMO, IPCC) (World Meteorological Organization, IPCC)
Wenn du magst, richte ich dir einen kurzen „Monats-Ticker“ ein (Copernicus/WMO-Updates zu Anomalie, Ozeanwärme, Budget-Update), damit du nicht jedes Mal durch News-Geräusche waten musst.
El Niño – La Niña – Status & Einfluss
1. 2023–2024: Starker El Niño
- Ein kräftiges El Niño‑Ereignis startete im Juni 2023, erreichte seine Hochphase zwischen November 2023 und Januar 2024 und war eines der stärksten seit Beginn der Aufzeichnungen. (Wikipedia)
- Dieses führte zu einem starken Temperaturanstieg: 2023 war global das bisher wärmste Jahr, und 2024 wurde erstmals ein globaler Mittelwert klar über 1,5 °C über vorindustriell erreicht (z. B. laut Copernicus, WMO) (Le Monde.fr).
- Quantitativ erhöhte El Niño die globale Jahresdurchschnittstemperatur 2024 schätzungsweise um +0,16 °C, nach +0,04 °C im Jahr 2023 (Carbon Brief).
2. Abklingen – Übergang zu neutralem Zustand
- El Niño klang im Sommer 2024 ab: ab Juni 2024 bis Mitte September waren ENSO‑Bedingungen neutral, mit hoher Wahrscheinlichkeit eines kurzfristigen Übergangs zu La Niña (Klimavorhersagezentrum).
- Tatsächlich begann Anfang 2025 eine La Niña‑Phase, sie war aber sehr kurz – mittlerweile sind wir im Juli 2025 wieder in einem ENSO‑neutralen Zustand (Klimawissenschaft).
3. Aktuelle Lage: Neutral, mit leichtem La Niña-Hinweis
- Laut IRI (Juli 2025): ENSO‑neutral‑Zustand, mit etwa 75 % Wahrscheinlichkeit bis mindestens September 2025 (IRI für Klima und Gesellschaft).
- NOAA (Juli 2025): Neutral wahrscheinlich im Spätsommer, danach leicht zunehmende Wahrscheinlichkeit für La Niña im Herbst/Winter 2025–26, jedoch annähernd gleichauf mit Neutral (Klimavorhersagezentrum).
Wirkung auf globale Temperaturen
- El Niño hat deutlich zur Wärme in 2023/24 beigetragen. Ohne diesen Effekt wären die Temperaturen etwas niedriger gewesen – jedoch wären sie immer noch extrem hoch aufgrund des langfristigen Klimatrends. (Berkeley Earth, Carbon Brief, Nature)
- Nach dem Abklang des El Niño ging es zwar aus dem größten Superspike raus – 2025 bleibt aber extrem warm, etwa im März 2025: 1,55 ± 0,15 °C über vorindustriell, laut Berkeley Earth (Berkeley Earth).
- Auch wenn La Niña kurzfristig etwas Abkühlung bewirken könnte – die Ozeane sind weiterhin außergewöhnlich warm, und insgesamt bleiben die Temperaturen ungewöhnlich hoch. (Wikipedia)
Fazit – Einordnung im Gesamtbild
Phase | Wirkung auf Temperaturen | Status |
---|---|---|
El Niño (2023–24) | Starker zusätzlicher Temperaturanstieg (~+0,1–0,2 °C global) | Hitzespike |
Übergang & Neutral (ab Mitte 2024) | Abkühlung vom Peak, aber weiterhin sehr warm | Hintergrund-Trend dominiert |
Heute (Mitte 2025) | ENSO-neutral, leichtes Abklingen von Extremwerten | Wärme bleibt Dominant |
Was bedeutet das für Einschätzungen wie zuvor?
- Dass 2024 deutlich über 1,5 °C lag, ist zum Teil El Niño-bedingt – aber auch ohne den natürlichen Effekt wäre es bereits sehr warm gewesen.
- Der Übergang zu ENSO-neutral deutet zwar auf etwas gemässigtere Schwankungen hin, aber:
Der Klimatrend bleibt klar – und sehr warm.