Energiewende Weltweit 2050-2070 und der Fehler mit Degrowth Rhetorik

Unten ist ein „realistischer Korridor“ dafür, wie schnell das Welt-Energiesystem umgebaut werden kann, ohne die Volkswirtschaften zu zerlegen. Ich stütze mich dabei auf aktuelle IEA/Energy-Institute/Ember-Zahlen und leite daraus einfache, belastbare Daumenregeln ab.

1) Realitätscheck 2024/25 (harte Zahlen)

  • CO₂: Energiebedingte Emissionen 2024 = 37,8 Gt (+0,8 %). Noch kein Peak, aber sehr flach.  
  • Strommix: „Clean power“ (Erneuerbare + Nuklear) > 40 % der weltweiten Erzeugung 2024.  
  • Neue Erneuerbare: 2024 wurden ~666 GW zugebaut; bis 2030 sieht die IEA knapp ~935 GW/Jahr (v. a. Solar/Wind).  
  • Stromnachfrage: 2024 wuchs sie um 3,3 % (+1 000 TWh) – fast genau die Größenordnung der neugebauten sauberen Erzeugung → Fossilstrom stagniert.
    Bleibt aber im Gesamtsystem noch nötig bis H2 als bezahlbare Alternative bereit steht.
  • Investitionen: Weltweite Energie-Investitionen > 3 Bio. $/Jahr; 2025 davon ~2:1 zugunsten Clean; allein Elektrizitätssektor ~1,5 Bio. $.  
  • Netze: Globaler Leitungszubau nur ~1 %/Jahr; Bedarf: starke Beschleunigung und Verdopplung der jährlichen Investitionen Richtung ~600–800 Mrd. $/Jahr bis 2040/50. Netze sind der Engpass.  
  • Endantriebe: 17 Mio. E-Autos in 2024 verkauft (+25 %), Heatpumps zeitweise schwächer (−1 % ggü. 2023).  
  • Primärenergie-Basis: Weltenergie ~620 EJ (Rundgröße 2023/24), fossiler Anteil weiterhin dominant. Aber nicht wegen alleiniger „fossiler Lobby“ sondern weil notwendig.

2) Was ist physisch/ökonomisch machbar (ohne ökonomischen „Selbstmord“)

 Drei harte Bremsen bestimmen den Maximalumbau pro Jahr:

  1. Fertigung & Bau (PV/Wind/Trafos/Kabel/Netze/PEM-Stacks/Elektroöfen)
  2. Aufnahmefähigkeit der Netze (Anschlusszeiten, Genehmigungen)
  3. Kapitalbindung & Cash-flows (Invest ↔ Verbraucherpreise/Inflation)

Mit Blick auf heutige Fertigungskapazitäten, Auftragsbücher und Netze ist ein
globaler „Umbau-Korridor“ von 3–4 % des Energiesystems pro Jahr
(gemessen an ersetzter fossiler Endenergie) nachhaltig.
Das entspricht grob dem, was die Welt bereits investiert (≈ 3 % Welt-BIP) plus moderater Steigerung, ohne Preisschocks wie 2022 auszulösen.
(Ableitung aus IEA-Invest-Niveaus; Prozent-vom-BIP ist eine konservative Umrechnung.) 

3) Ein belastbarer Fahrplan (Korridor)

2025–2030: Beschleunigungsphase

  • Zubau Erneuerbare skaliert von ~0,9–1,1 PWh/Jahr Netto-Erzeugung (heute) auf ~1,6–2,0 PWh/Jahr bis 2030 (im Takt der IEA-Prognose ~900+ GW/Jahr;
    Mix etwa 65–70 % PV, 25–30 % Wind). Das deckt das gesamte Nachfragewachstum und drückt Fossilstrom erstmals deutlich.  
  • Netze: jährliche Investitionen Richtung ~500 Mrd. $ anheben;
    Leitungszubau >2 %/Jahr (statt 1 %). Ohne das staut sich der Anschluss.  
  • Endanwendungen: EV-Absatz >30 Mio./Jahr bis 2030; Wärmepumpenabsatz wieder in den Wachstumsmodus bringen.
    Ergebnis: elektrische Endenergie ersetzt 1–1,5 % fossile Endenergie/Jahr.
    (Trend gestützt durch IEA EV-Outlook; HP-Rebound nötig.)  
  • Industrielle Elektrifizierung & Effizienz: Elektroöfen, E-Kessel, Motoren, Prozesswärme <200 °C – die günstigen 50 % der Industrie.

Ergebnis 2030:

  • Strom: Clean-Anteil ~55–60 %; Fossilstrom −25–35 % ggü. 2024.
  • Gesamt-CO₂: −15–25 % ggü. 2024 (trotz wachsender Weltwirtschaft).
    (Größenordnungen konsistent mit IEA-Zubau, wenn Netze mithalten.)  

2030–2040: Dominanz der Elektrifizierung

  • Jährliche saubere Netto-Erzeugungszuwächse ~2–3 PWh; plus Flex (Batterien, Demand Response) → Fossilstrom schrumpft 5–7 %/Jahr.
  • Endantriebe: EV-Bestand >40 % der Pkw-Flotte in 2040; Wärmepumpen dominieren Neubau/Heizungstausch; Niedertemperatur-Industriewärme breit elektrifiziert.
  • Moleküle (grüner H₂) fokussiert auf Stahl, Dünger, Raffinerie-Substitution; synthetische Kraftstoffe nur für Luft/Schifffahrt oder wo einfach schwer Ersetzbar Landmaschinen mit speziellem Profil, Baumaschinen, Schwerlastweitverkehr etc.
    Ergebnis 2040: −45–60 % globale CO₂ ggü. 2024, bei ~70–80 % sauberem Strom. (Netze/Capex sind die Kondition.)  

2040–2050: Restlast & schwerer Sektor

  • Zement/Prozesswärme >500 °C, Luft/Schifffahrt: CCS, H₂-Derivate, Bio-Kohlenstoff → teuer, aber volumenmäßig beherrschbar.
    Ergebnis 2050: −70–85 % ggü. 2024 technisch/ökonomisch plausibel ohne „Crash“. Netto-Null global eher 2055–2065 realistisch – früher, wenn Netze/Genehmigungen und Finanzierung in Schwellenländern massiv beschleunigen. (Investitions-„Fault line“: EMDE-Finanzzugang.)
    Netto Null ist ausdrücklich inkl. der Senkenleistung, Wälder, Meere, Moore etc.

4) „Wie viel pro Jahr maximal?“ – eine grobe Obergrenze

  • Erzeugung: von heute ~1 PWh/Jahr netter sauberer Zuwachs auf ~2,5–3 PWh/Jahr bis 2030–35 ist machbar, wenn Netze/Anschluss doppelt so schnell vorankommen. Das entspräche ~2–3 % der weltweiten Endenergie ersetzt pro Jahr (durch Effizienz der Elektrifizierung sogar etwas mehr).  
  • System-Kapital: ~3,3 Bio. $ Gesamtinvest p. a. heute → ~4–5 Bio. $ über 2030 hinaus wäre die ambitionierte Oberkante, aber noch <5 % Welt-BIP – historisch tragfähig ohne Schock, wenn Finanzierung in EMDEs steht und fossile Ersatzinvestitionen geordnet auslaufen. (Ableitung aus IEA-Invest-Pfaden.)  

5) Was drückt die Emissionen wirklich schnell?

  1. Power first: Weiterer massiver PV/Wind-Zubau + Netze + Speicher → jede zusätzliche saubere TWh drückt heute fast 1:1 Fossilstrom, weil die Nachfrage ohnehin wächst.  
  2. Elektrifizierung einfacher Lasten: Fahrzeuge, Wärmepumpen, Motoren – wegen Faktor-2-bis-3-Effizienzgewinn.  
  3. EMDE-Finanzierung: Ohne billiges Kapital in Schwellenländern (wo Nachfrage wächst) verschiebt sich alles nach rechts.  

6) Kurzfazit (konkret)

  • Zeithorizont:
    • Peak CO₂: möglich 2026–2028 (wenn Netze + Zubau wie oben laufen).
    • −25 % bis 2030, −50 % bis ~2038–2042, −70–85 % bis 2050 – ohne ökonomischen Harakiri.
  • Max. Umbau/yr: 2–3 % ersetzte Endenergie/Jahr global sind realistisch; 3–4 % sind die „Sportgrenze“, erfordern aber Netze/Genehmigungen/Finanzierung auf Turbo.  

Alternativ eine plausible (wenn auch unbequeme) Einschätzung. „Netto-Null ~2070“ passt zu den realen Engpässen (Netze, Genehmigungen, EMDE-Finanzierung) – und sie hat klare mathematische Konsequenzen:

Was „Netto-Null 2070“ impliziert (ab 2025)

  • Benötigte globale Emissionsminderung p. a.
    Wenn wir die energiebedingten CO₂-Emissionen von ~38 Gt (2025) bis 2070 nahe Null bringen wollen, entspricht das grob einer durchschnittlich ~6–7 % jährlichen Reduktion (exponentiell gedacht). Linear gedacht wären es ~0,84 Gt pro Jahr (~2,2 % vom 2025-Niveau), aber realistisch braucht man eher die exponentielle Dynamik (frühe Jahre zählen überproportional).
  • Cumulatives CO₂ (Budget-Folge)
    Eine lineare Rampe auf Null bis 2070 ergäbe ~850 Gt CO₂ bis dahin (Fläche eines Dreiecks: 0,5 × 38 Gt × 45 Jahre). Das ist deutlich jenseits typischer Restbudgets für 1,5 °C (und nahe/oberhalb vieler 2,0 °C-Abschätzungen). Heißt: 2070 ist klimaseitig eher ein ~2 °C-Pfad, nicht 1,5 °C.
  • Systemumbau-Rate
    Um ~6–7 % Emissions-CAGR zu schaffen, muss das Energiesystem (Endenergie) global ~3–4 %/Jahr von fossil auf elektrisch/sauber gedreht werden, plus zusätzliche Effizienzgewinne (Elektrifizierung bringt Faktor-2–3 Wirkungsgrad) und etwas CCS/H₂ für harte Restlasten. Das liegt am oberen Ende dessen, was ohne ökonomischen Schaden machbar ist – aber machbar, wenn Netze & Finanzierung mitwachsen.
  • Investitionskorridor
    Weltweit heute grob ~3 % BIP in Energieinvestitionen. Für einen 2070-Pfad sehe ich ~4–5 % des Welt-BIP p. a. als Oberkante (inkl. Netze ~600–800 Mrd. $/J, Speicher, Erzeugung, Elektrifizierung der Endantriebe). Das ist strapazierend, aber kein Selbstmord, sofern Kapital in Schwellenländern bezahlbar wird und fossile Re-Invests geordnet auslaufen.
  • Netze als Taktgeber
    Ohne Verdopplung der jährlichen Netz-Investitionen und deutlich schnellere Genehmigungen bekommst du die nötigen PV/Wind-Zuwächse nicht ins System. 2070 wird dann nicht durch Technologie, sondern durch Anschlussgeschwindigkeit bestimmt.

Praxisübersetzung (Daumenregeln)

  • Stromsystem: Netto-Zubau sauberer Erzeugung → 2–3 PWh/Jahr in den 2030ern (vs. ~1 PWh/Jahr heute), plus Speicher & Flex. Damit schrumpft Fossilstrom jährlich 5–7 %.
  • Endanwendungen:
    • Mobilität: E-Antriebe zur Massenware (Pkw/LNF + Stadtbus/2-Wheeler), Langstrecke: Effizienz + E-Korridore, später E-Fuels für Luft/See.
    • Wärme: Wärmepumpen im Bestand, Fernwärme mit Groß-HP, Direktstrom/Power-to-Heat in Industrie <200 °C.
    • Schwere Industrie: Elektroöfen, grüner H₂ für Stahl/Dünger, CCS für Zement.
  • Politik/Finanz: Garantierte Offtake-Verträge (CfD), beschleunigte Netze, standardisierte PPA-Risiken, EMDE-Kredite <5 % Effektivzins.

Mein Take

  • Ja, 2070 ist realistisch als globaler Netto-Null-Zeitpunkt unter heutigen Bremsen.
  • Aber: Klimaseitig bezahlt man das mit einem deutlich höheren kumulativen CO₂ (1,5 °C praktisch weg, ~2 °C wahrscheinlicher).
  • Ökonomisch ist 2070 nicht „Selbstmord“ – es ist der langsamere aber -sichere Pfad, der politisch/finanziell leichter durchzuhalten ist als 2055–2060, aber erfordert trotzdem Rekord-Netzausbau und dauerhaft >4 %-vom-BIP-Invest.

Wenn du magst, bastle ich dir ein kompaktes Szenario-Sheet mit drei Pfaden („2058 Turbo“, „2065 Pragmatisch“, „2070 Lang“):
jährliche Emissionen, kumulatives CO₂, benötigte TWh-Zubauten, Invest-Bandbreiten und Netzausbau – dann siehst du schwarz auf weiß, wo der Pfad aufreißt (Netze vs. EMDE-Finanzierung vs. Endantriebe).

Ein weiterer zentraler PUNKT, der in der öffentlichen Debatte in DE falsch interpretiert wurde
„Die Verwechslung von „Dekarbonisierung“ mit „De-Growth“. Genau diese rhetorische Gleichsetzung hat enormen Schaden angerichtet – ökonomisch, politisch, psychologisch. Ich versuche das mal systematisch zu entfalten:

1. Falsche Gleichung: Klimaschutz = Schrumpfung

  • De-Growth/Post-Growth behauptet: Die einzige Lösung sei, weniger zu produzieren und weniger zu konsumieren.
  • Faktische Energiewende braucht aber: Investitionsschub (3–5 % Welt-BIP p. a.), also mehr wirtschaftliche Aktivität, nicht weniger.
  • Jede Tonne Windstahl, jedes PV-Modul, jedes Netzkabel ist Investition, Arbeitszeit, Einkommen – nicht Verzicht.
  • Wenn man stattdessen „Weniger Wachstum“ als moralische Pflicht verkauft, entsteht eine kognitive Dissonanz: Man verlangt mehr Investitionen, aber erzählt von Schrumpfen.

2. Finanzierungslücke durch Schrumpf-Narrativ

  • Kapitalmärkte: Ohne Wachstumserwartung sinken Investitionsbereitschaft, Aktienkurse, Kreditwürdigkeit → Finanzierung verteuert sich.
  • Staatshaushalte: Steuerbasis (Umsatz-, Einkommens-, Unternehmenssteuern) schrumpft, gerade wenn man massive öffentliche Netzinvestitionen und Förderung braucht.
  • Private Haushalte: Bei stagnierendem oder sinkendem Konsum fehlt die Nachfrage, die Unternehmen brauchen, um Gewinne zu erzielen und Investitionen zu tragen.
  • Folge: Die nötigen Billionen für Netze, Speicher, Fabriken stehen nicht bereit.

3. Politisch-psychologischer Schaden

  • „Grünes Schrumpfen“ wirkt wie ein moralischer Angriff auf den Alltag: Auto fahren, heizen, essen.
  • Damit spielen populistische Gegner der Energiewende („die Grünen wollen euch alles verbieten“) ihre stärkste Karte.
  • Viele Bürger merken intuitiv: „Wenn alles schrumpft, wer soll dann den Umbau bezahlen?“ – und wenden sich ab.
  • Ergebnis: Verlust an Mehrheiten für die Energiewende, selbst dort, wo sie realistisch finanzierbar wäre.

4. Einfluss russischer Desinformation & „Hetzer 2030“

  • Russische Kanäle und Trolle haben seit Jahren Narrative verstärkt wie:
    • „Der Westen ruiniert sich durch Klimapolitik.“
    • „Energieknappheit ist hausgemacht, nicht durch Putins Krieg.“
    • „Dekarbonisierung = Deindustrialisierung.“
  • Diese Botschaften fallen auf fruchtbaren Boden, wenn einheimische Stimmen (NGOs, Dogmatiker) gleichzeitig „De-Growth“ predigen.
  • So entsteht eine toxische Allianz:
    Linksdogmatisches Verzichts-Narrativ + gezielte russische Desinformation → gesellschaftliche Spaltung und Abwendung vom realistisch machbaren Umbau.
    Und wenn dasselbe aus der Linken Richtung (Energiewende mit PV/Wind/Akkus 2030 kein Problem) kommt, dann sind die ganzen Energie Themen nur zwei Seiten von ein und derselben Medaille.
    Die Rechte Seite betreibt Gegenpropaganda für fossil atomar, die konservative Mitte wird zerrieben.

5. Ökonomische Logik: Wachstum = Bedingung für Energiewende

  • Investitionen sind Vorleistungen: Nur wachsende Unternehmen, volle Auftragsbücher, gesunde Staatshaushalte können Gigafabriken, Netze, Speicher finanzieren.
  • Produktivitätsfortschritte (Digitalisierung, Automatisierung, KI) senken die relativen Kosten der Energiewende – aber nur, wenn man sie zulässt und in den Markt integriert.
  • Exportstärke (z. B. deutsche Maschinenbau- und Chemieindustrie) liefert Kapitalüberschüsse, die international in Dekarbonisierung fließen können. Wenn diese Exporte einbrechen, fehlt der Beitrag.

6. Fazit: Der eigentliche „Selbstmord“

  • Nicht die Energiewende ist Selbstmord – sondern die Idee, man könne sie mit Schrumpfungs-Narrativen verkaufen.
  • Die Leute sind nicht dumm: Wer ihnen erklärt, dass sie gleichzeitig mehr zahlen und weniger bekommen sollen, verliert ihre Unterstützung.
  • Realistisch erfolgreich ist nur ein Narrativ: „Wachstum durch Dekarbonisierung“ – neue Industrien, Jobs, Exporte, Versorgungssicherheit.

👉 Damit ist deine Kernthese klar: Das größte Risiko für die Energiewende im Westen war nicht die Technik oder die Physik, sondern das Dogma vom Schrumpfen – rhetorisch verstärkt durch externe Gegner und interne Moralisten.