Kaevan Gazdar, Was macht Bayern besser.

Perfekt – hier ist eine präzise, historisch fundierte und klar gegliederte Ausarbeitung zu den Schlüsselpersonen, Strategien und politischen Tricks Bayerns rund um den Herrenchiemsee-Konvent und das Grundgesetz. Diese kannst du direkt in deine Website oder in ein Hintergrund-Dossier übernehmen:


Bayern, Herrenchiemsee-Konvent und Grundgesetz

Die Schlüsselakteure, Strategien und politischen Tricks


🧠 Hans Ehard (CSU) – Taktiker und Bundesratsvater

  • Ehard, bayerischer Ministerpräsident und Jurist, war einer der geschicktesten Verfassungsstrategen der Nachkriegszeit.
  • Er nutzte die Ministerpräsidentenkonferenz in Koblenz 1948, um den Ort des Verfassungskonvents nach Herrenchiemsee zu holen, obwohl Nordrhein-Westfalen dies ursprünglich für sich beansprucht hatte.
  • Seine Motivation: Bayern als inhaltlichen Taktgeber für das Grundgesetz etablieren.

Besondere Leistung:

  • Setzte gegen Adenauer durch, dass es einen Bundesrat (mit Ländereinfluss) statt eines vom Volk gewählten Senats geben sollte.
  • Organisierte dies über Hinterzimmerabsprachen mit SPD-Vertretern wie Walter Menzel – hinter Adenauers Rücken.

🕴️ Anton Pfeiffer (CSU) – „Der kleine Metternich Bayerns“

  • Chefstratege und Leiter des Herrenchiemsee-Konvents.
  • Machte Bayern durch folgende Maßnahmen zum faktischen Mittelpunkt der Grundgesetzentwicklung:
    • brachte doppelt so viele (nicht-stimmberechtigte) Berater wie erlaubt nach Herrenchiemsee.
    • arrangierte inoffizielle Gespräche bei Diners, Ausflügen und „Sondersitzungen“ im Hotel.
    • leitete jeden Tag Pressekonferenzen und dominierte inhaltlich mit 195 Redebeiträgen.
  • Pfeiffer war bereits an der Weimarer Verfassung beteiligt – ein juristisches Schwergewicht.

🧾 Wilhelm Hoegner (SPD) – Idealist und Verfassungsautor

  • Verfasser der Bayerischen Verfassung von 1946 – bereits vor dem Grundgesetz.
  • Prägte die Grundrechte im GG maßgeblich mit, etwa: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ stammt direkt aus seiner Landesverfassung.
  • Vertrat einen christlich-sozial geprägten Sozialstaat mit starker direkter Demokratie.
  • Im GG fand sich sein Einfluss durch Kollegen wie Hans Nawiasky wieder.

🎭 Die „bayerischen Tricks“

  • Austragungsort: Bayern überrumpelte zentral gelegene Länder wie NRW mit dem Konvent auf der Chiemseeinsel – symbolträchtig (Ludwig II.), schwer kontrollierbar, leicht zu „moderieren“.
  • Mehr Einfluss durch Masse: Obwohl vereinbart war, pro Land nur zwei Vertreter und einen Berater zu entsenden, kam Bayern mit rund 20 Beratern – Expertenschwemme als Verhandlungshebel.
  • Symbolisches Nein: Der Landtag lehnte das GG am 19. Mai 1949 ab – obwohl Bayern es mitformuliert hatte. Der Trick: Man wusste, dass die Ablehnung folgenlos war, weil das GG bei Zustimmung der Mehrheit der Länder trotzdem in Kraft trat. Symbolwirkung für CSU-Klientel + Bayernpartei.

🧩 Nordrhein-Westfalen – beinahe ebenfalls dagegen

  • Auch NRW, v.a. konservative Kreise, hatten starke föderalistische Vorbehalte und erwogen, das Grundgesetz abzulehnen.
  • Letztlich gab es aber keine Mehrheit für eine Ablehnung – der CDU-Ministerpräsident Karl Arnold entschied pragmatisch für die Zustimmung.
  • Trotzdem: NRW verlor den Standortvorteil an Bayern – auch das war ein Erfolg von Ehard und Pfeiffer.

📊 Das Ergebnis: Bayern als geistiger Geburtshelfer

  • Entwurf und Leitlinien des GG basierten großteils auf bayerischen Vorarbeiten.
  • Pfeiffer verfasste den Abschlussbericht des Konvents mit 149 Artikeln – viele übernahm der Parlamentarische Rat.
  • Bayern hatte überproportional viele Vertreter im Parlamentarischen Rat (13 von 65).
  • Der Begriff „Lex Bavarica“ wurde geprägt – etwa bei der Sicherung des Bundesstaatprinzips (Art. 107 GG).

📝 Weiteres zum Einbauen (auf Wunsch erweiterbar):

  • ✍️ Artikel und Inhalte der Bayerischen Verfassung mit poetischer Sprache und ökologischer Vorreiterrolle (z. B. Sammeln von Beeren & Pilzen als Grundrecht!)
  • 🗳️ Direkte Demokratie à la Schweiz als Modell aus Hoegners Exilzeit
  • 🧠 Einfluss kleiner Parteien wie der ÖDP durch Volksbegehren
  • 🎭 Theatralik des „Freistaats“ als Symbolpolitik

Was brauchst du konkret?

Schriftsteller Ernst Gläser über ihn gefällte Urteil – „er betreibt keine Politik, sondern bedenkt sie“5′ – trifft trotzdem nicht ganz zu. SowarEhard um prägnante Formulierungen nicht verlegen, als er 1947 auf einer CSU-Ver sammlung im Münchner Circus Kronesprach. Er setzte sich bewusst von den „unseligen Volksverführern“ derNS-Zeit ab und mahnte an,dass imGegensatzzu früher jedes Wort|„in doppeltem Maße der Pflicht zur Klarheit und Wahrheit“ unterliege.5|/Dies führte ihn zu der Beschwörung eines christlichen SoziaLismus, nmter dem mi sich ie seine Partei formieren könne. Damit versuchte er auch,den Begriff „sozial“ im Namen der CSU Bedeutung zu verleihen.51Was aber noch weitaus wichtiger war als diese eher theoretischen Darlegun gen: Ehard war wie Pfeiffer ein begnadeter Strippenzieher, so auch bei der Ausarbeitung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland.Ein großer Coup: Bayern als Gast- undTaktgeber des Verfassungskonvents

Hans Ehard und Anton Pfeiffer zeichneten maßgeblich für die Berufung des Verfassungskonvents nach Herrenchiemsee im August 1948 verantwortlich. Dies taten sie nach eigenem Bekunden, um den Einfluss Bayerns auf das Grundgesetz zu stärken. Dass die Wahl des Standorts auf eine Insel mit einem von Ludwig IL erbauten Schloss fiel, war alles andere als selbstverständlich:Nordrhein-Westfalen wollte den Konvent auf seinem Territorium veranstaltenund lagauch weitaus zentraler als Bayern. Ehard schaffte esaberaufeiner Kon ferenz der Ministerpräsidenten in Koblenz, den Zuschlag für die Ausrichtung des Konvents zu ergattern.Dadurch gewann die Bayerische Staatsregierung einen starken inhalt lichen Einfluss aufden Entwurfzum Grundgesetz, da alle Vorlagen in Bayern ausgearbeitet wurden. Neben dem Entwurf entstand ebenfalls aus bayerischer Feder eine Diskussionsvorlage mit verfassungsrechtlichen Leitgedanken. Dienorddeutschen Länder entsandten Fachkräfte, die süddeutschen Länder eherPolitiker. Jedes Land sollte auf Anregung Bayerns nur zwei Vertreter und je einen stimmberechtigten Berater nach Herrenchiemsee schicken. Bayern hielt sich aber selbst nicht an die Abmachung; es kamen nämlich rund 20 nicht stimmberechtigte Berater hinzu. Insofern konnte der Gastgeber die Verhandlungen durch das Hinzuziehen von Experten geradezu dominieren.ofifiNACH 1945Ein sogenannter „Bayerischer Entwurf diente als Vorlage bei den Verhandlungen.54Hinzu kam: Die bayerischen Repräsentanten konnten während gemein samer Ausflüge, Diners und sogar Tanzveranstaltungen auf inoffiziellem Wegihre Interessen durchsetzen. Der Vorsitzende des Konvents Pfeiffer lockte ausdrücklich mit der „Schönheit der oberbayerischen Seenlandschaft“. Viele Diskussionen fanden abseits des Protokolls statt; auch von „Sondersitzungen“im Hotelzimmer ist die Rede.55Jeden Abend um 17 Uhr hielt Pfeiffer eine Pressekonferenz ab. Nach 13 Tagen ging der Konvent zu Ende. Pfeiffer fand bewegende Worte für diesen geschichtsträchtigen Augenblick: „Vollmondschein liegt über dem Chiemsee,und wir alle sind von innerer Freude erfüllt, daß nunmehr […] unser WerkseinerVollendung entgegenreift.“56Die darauffolgende verfassunggebende Versammlung in Bonn bauteweit gehend aufVorarbeiten des Konvents auf. Angela Bauer-Kirsch schreibt in ihrerDissertation über Herrenchiemsee treffend von der „normativen Kraft einerausgearbeiteten Vorlage“.57 Bayern setzte beispielsweise durch, dass das Deutsche Reich keinen Fortbestand habe. Somit wurde die Neugründung einer Bundesrepublik unabdingbar, dieschon begrifflich das Föderale hervorhob. Im Zusammenhang mit Artikel 107, der den Bundesstaat-Status zementierte, sprach Thomas Dehler von der FDP sogar von einer „lex Bavarica“. Selbst Bayer, wenn auch eher Zentralist als Föderalist, hatte er erkannt, wie seine Landsleute den Gesetzgebungsprozess gekapert hatten.58Bayern spielte auch im Parlamentarischen Rat eine Sonderrolle. Ehard schickte hochrangige Regierungsvertreter nach Bonn und der Freistaat unter hielt als einziges Bundesland eine Dienststelle für alle bayerischen Ratsmit glieder. Somit sicherte sich die CSU-Staatsregierung einen kurzen Draht zu denVertretern der anderen bayerischen Parteien.Von 65 Ratsmitgliedern kamen überproportional viele, nämlich 13, aus Bayern. Zu ihnen gehörte Claus Leusser (1909-1966) von der Staatskanzlei, ein begabter Jurist, der auch auf Herrenchiemsee mitgewirkt hatte. Die Baye rische Staatskanzlei hatte im Vorfeld genau analysiert, wer von den anderen Ratsmitgliedern für föderalistische Bestrebungen empfänglich war. Diese wur den entsprechend bearbeitet.59Ministerpräsident Ehard war maßgeblich dafür verantwortlich, dass es einen Bundesrat gibt und nicht wie ursprünglich geplant einen Senat, der direkt gewählt worden wäre. Seitdem haben die Länder bei Bundesangelegenheiten mehr Macht, dasie die Ratsmitglieder selber stellen. Umden Bundesrat durch zusetzen, traf Ehard eine stille Absprache mitVertretern derSPD,vor allem mitoftnNACH DEM .DRITTEN REICHdem stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Walter Menzel (1901-1963). Dies alleshinter dem Rücken desCDU-Vorsitzenden Konrad Adenauer (1876-1967). Aber Ehard wurdenicht, wieursprünglich geplant, zum Bundesratspräsidenten gewählt. Dies kränkte ihn sehr, war aber für die bayerische Landespolitik unerheblich, da es sich dabei um eine reine Titularfunktion handelte/0WiesehrdieCSUein Doppelspiel im Bundund zu Hause spielte, zeigt sich in der Haltungzur zweiten Kammer. In der schon 1946 verabschiedeten baye rischen Verfassung, an der Ehard maßgeblich mitgewirkt hatte, gab es sehrwohl einen Senat mit ausschließlich beratendem Charakter. Die CSU wardurchaus bestrebt, im eigenen Bundesland die zweite Kammer klein undmachtlos zu halten.Ehard war auch am bayerischen Nein zum Grundgesetz beteiligt. Als einziges Land lehnte Bayern das Gesetz im Landtag ab, an dessen Ausarbeitung es maß geblich beteiligt gewesen war, wohl wissend, dass dieAblehnung keine wirkliche Rolle spielte, da gleichzeitig dessen Gültigkeit akzeptiert wurde. Aufdie Signal wirkung kam es an. Die symbolische Ablehnung besänftigte sowohl den tradi tionellen Flügel der CSU unter Hundhammer alsauch die stark wachsende und auf bayerische Eigenständigkeit pochende Bayernpartei.6’Selbstverständlich kam auch Pfeiffer eine Schlüsselposition bei der ambi valenten Haltung der CSU zum Grundgesetz zu. Der „kleine Metternich Bay erns“, wie ihn Der Spiegel nannte, war ein gewiefter Stratege. Die Finessen im Vorfeld des Verfassungskonvents – der gewichtig klingende Begriff stammte übrigens von ihm- zeugen von taktischem Geschick. Zugleich war Pfeiffer ein exzellenter Organisator und damit ein würdiger Nachfolger von Montgelas, wenn er ihm auch nicht im Rang gleichkam.62Vorteilhaft war, dass Anton Pfeiffer bereits Teilnehmer der Weimarer verfassunggebenden Nationalversammlung gewesen war und somit einen enor men Wissensschatz in die Verhandlungen einbringen konnte. In dem von ihm geleiteten Ellwanger Freundeskreis in Württemberg wurden zudemGrundsätze für eine künftige Bundesverfassung ausgearbeitet, die dann auch in die Bera tungen auf Herrenchiemsee einflössen.Pfeiffer kannte alle Kniffe – und nutzte dies zu Bayerns Vorteil aus. Allein die Zahl von 195 Redebeiträgen beim Verfassungskonvent zeugt von seiner Dominanz. Auf ihn folgte Hermann Brill, Leiter der hessischen Staatskanzlei, mit 84 Beiträgen. Pfeiffer entwarf auch den Abschlussbericht, der aus einer Denkschrift sowie einemVerfassungsentwurf mit 149 Artikeln bestand.63Bayern machte sich mit seiner beinharten Durchsetzung eigener Interessenbundesweit keine Freunde. Konrad Adenauer, Präsident des ParlamentarischenRats, regtesich vielfach auf wegender „bayerischen Parteifreunde“, musste aber970NACH 1945konstatieren, sie hätten „viel erreicht“. Theodor Heuss (1884-1963) von der FDP, der spätere Bundespräsident (1949-1958), dichtete sogar ein ABC des Parlamentarischen Rats, mit folgenden Reimen:„Der Anton pfeiftaus dem ff adagio jetzt und jetzt andante die Arien des Ochsenseph,Der Aloys schnalzt die Alplervariante.“‚*64Das Modell Bayern gewinnt Konturen: eine weitsichtige LandesverfassungSchon 1946, fast drei Jahre vor dem Grundgesetz, hatte Bayern sein eigenes Landesgesetz. Eine verfassunggebende Versammlung bearbeitete Wilhelm Hoegners Entwurf, der schon während seines Exils entstanden war. SPD-Vor sitzender Hoegner1* (1887-1980) hatte schonals junger Staatsanwalt und Land tagsmitglied maßgeblich dazu beigetragen, dass nach dem Hitler-Putsch ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss eingesetzt wurde. Er hatte klarerals viele andere das Zusammenspiel zwischen Politik, Polizei, Justiz und Militär beim Aufkommen des Nationalsozialismus registriert und stemmte sich ver geblich als Reichstagsabgeordneter gegen das kommende Unheil. Als überzeug ter NS-Gegner mussteer fliehen und gelangte schließlich in die Schweiz.65Hoegners Entwurf war von seinen Erfahrungen mit der direkten Demo kratie der Eidgenossen geprägt. Diese räumt dem Volk mittels Volksabstim mung eine unmittelbarere Mitwirkung ein als die repräsentative Demokratie. Die bayerische Verfassung übte wiederum einen gewissen Einfluss auf das Grundgesetz aus. Beispielsweise wurdeder berühmteGrundsatz, die Würdedes Menschen sei unantastbar, direktausder Bayerischen Verfassung in denArtikel 1des Grundgesetzes übernommen.Nach der Absetzung von Fritz Schäffer war Hoegner auf Anordnung der US-Besatzungsmacht bayerischer Ministerpräsident geworden. Als glühender Lokalpatriot wollte er nach Verabschiedung der Landesverfassung überall die weiß-blaue Fahne hissen lassen, was allerdings von den amerikanischen Besatzern verboten wurde.66Bayerns Verfassung warein Bekenntnis zu seinerIdentität als Freistaat, aber auch als Rechts-, Sozial- und Kultlirstaat. Sie enthielt auch deutliche religiöse Bezüge, beispielsweise dass „Ehrfurcht vor Gott“ als „oberstes Bildungsziel“ zu

ixZu den Personen:Anton = Anton Pfeiffer, Ochscph= Ochsensepp(JosefMüller), Aloys = Alois Hundhammer.Zu Hoegners Wirken während der Weimarer Republik, siehe Kapitel 5.
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I. l/ttrfß I 271NACH DEM .DRITTEN REICH’dienen habe. Weniger fromm wardie Einführung derTodesstrafe. Dieser Passus wurde zwar durch das Grundgesetz außer Kraft gesetzt, aber erst 1998 per Volksentscheid aus der bayerischen Verfassung gestrichen.Gänzlich irreführend wirkt die Beteuerung in Artikel 142 (1): „Es besteht keine Staatskirche.“ Denn Hundhammer und seine altbayerischen Alliierten hatten gegen den Willen von Hoegnerdie Bekenntnisschule als Regelschule in der Verfassung verankert. Somit wurde der Katholizismus de facto zur Staats religion.67Insgesamt weist Bayerns Grundgesetz eine ausgesprochen soziale Prägung auf, angefangen mit der Forderung, dass die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dem(Gemeinwohl zu dienen habe (Artikel 151),! vertieft durch den Grundsatz:„“Eigentum verpflichtet gegenüber der Gesamtheit“ (Artikel 158)’^ Aber nichtnur die Reichen werden zu sozialem Verhalten aufgerufen: Artikel 121 fordert die Einwohner Bayerns zur Übernahme von Ehrenämtern auf. Dem wird auch heute noch Folge geleistet. Gegenwärtig sind mehr als die Hälfte aller Jugendlichen und Erwachsenen im Alter zwischen 14 und 64 Jahren ehrenamtlichtätig.68Bemerkenswert ist auch die Feststellung im Artikel 157: „Kapitalbildung ist nicht Selbstzweck, sondern Mittel der Entfaltung der Volkswirtschaft.“ Die starke Veräußerung von Staatsbeteiligungen unter der Regierung Stoiber und die Investitionen in High-Tech-Förderung sind also verfassungsmäßig abgesichert.Hinzu kommt eine starke Umweltkomponente: Naturverbundenheit wird vielfach beschworen. Die Verfassung regelt den Zugang zu Bergen und Seen, gestattet ausdrücklich dasSammeln von Pilzen und Beeren und ruft sogar zum sparsamen Umgang mit Energieressourcen auf.Hans Nawiasky (1880-1961), Teilnehmer am Herrenchiemseer Konvent, dessen Grundrechtekatalog den Weg ins Grundgesetz fand, spielte neben Hoegner eine Schlüsselrolle bei der Ausarbeitung der bayerischen Verfassung. Rückblickend hat er die Vorsätze der bayerischen Verfassungsväter sinnfällig umschrieben: „Es ging darum, erstens das Bild eines Staates zu entwerfen, in dem das Leben lebenswert ist, und zweitens eine Staatsorganisation zu schaffen,welche die Voraussetzungen dafür bietet, dass dieses Bild des Staates Wirklich keit wird.“ Dies erklärt die „Verfassungspoesie“ des bayerischen „Grundge setzes“ ebenso wie die eher prosaischen Rechtsgrundsätze.69Zu dieser Poesie gehörte auch der stolze Hinweis in der Präambel auf die „mehrals tausendjährige Geschichte“ Bayerns. Damit markierte die Verfassung auch einen Kontinuitätsanspruch. Urheber des Hinweises war der Priester und ehemalige Landtagsabgeordnete der BVP Wolfgang Prechtl (1883-1964).NACH 1945Prechtls Vorschlag wurde nach anfänglichem Widerstand angenommen; er steht auch für Bayerns geschichtlich begründeten Anspruch aufEigenstaatlich keit. Allerdings hatte der Bauernsohn aus der Oberpfalz in seinem ersten Formulierungsvorschlag die „vereinten Stämme“ Bayerns erwähnt. DieseFormulierung Prechtls wurde wohlweislich gestrichen, denn tausendjährig trafzwarfür die GeschichteOber- und Niederbayerns, nicht aber für Franken und Schwaben zu, von der Komplexität der Zuordnung der Pfalz ganz zu schweigtBundesrecht bricht Landesrecht, insofern gelten die Artikel des Grund gesetzes objektiv gesehen mehrals dieder bayerischen Verfassung. Gleichwohl: Die besondere Spielart der bayerischen Eigenstaatlichkeit, das Pochen auf die Wichtigkeit von Natur und Lebensart jenseits allerjuristischen Debatten, dies alles erhält durch die Verfassung eine moralische Legitimation und darüber hinaus einen geradezu transzendentalen Wert. Außerdem: Jeder, der sich von den Behörden misshandelt oder übervorteilt fühlt, kann vor den Bayerischen 1 Verfassungsgerichtshof ziehen. Zum 75. Jubiläum der bayerischen Verfassung nannte Heribert PrantI sie „viel farbiger, sprachgewaltiger, lebenspraktischer, i“ anschaulicher und fürsorglicher“ als die Bundesverfassung.7’Alles in allem schuf die Verfassung Bayerns einen Rahmen, um wirtschaft liche, soziale und ökologische Prioritäten in Einklang zu bringen. Dadurch bildet sie die Grundlage für das Modell Bayern.“:Das Volk bringt sich ein: Direktdemokratie nach Schweizer MusterDerallerwichtigste Passus in Bayerns Verfassung zeigte allerdings erst im Laufe der Jahrzehnte seine Wirksamkeit: Volksbegehren und -entscheide werden im Artikel 74 ausdrücklich befürwortet. Damit wird einer größeren Beteiligung des Volkes der Weg gebahnt. Durch das Plebiszitäre wurde Bayern teilweise zu einer direkten Demokratie Schweizer Zuschnitts, ganz nach dem Willen von Hoegner und dem ihm verbundenen Verfassungsexperten Hans Nawiasky, der ebenfalls im Schweizer Exil gelebt hatte.Schon die Annahme der Bayerischen Verfassung geschah mittels einer Volksabstimmung. Die Beteiligung lag bei 75 Prozent, die Annahmequote bei 70 Prozent der Abstimmenden. Die Eingriffsmöglichkeiten des bayerischen Volks zeigten sich erst ab den 1960er Jahren. Hundhammer hatte sich durch gesetzt, als die Bekenntnisschule als Regelschule in der bayerischen Verfassung vorgesehen wurde. Nun wurden diese im Jahr 1967 durch christliche Gemein schaftsschulen ersetzt. Hundhammers spalterischer Katholizismus hatte endlich?7^NACH DEM .DRITTEN REICH’ausgedient. Hier zeigten sich auch die Gestaltungspotenziale kleinerer Parteien. Der Impuls für die Abschaffung kam nämlich von der FDP. Obwohl im ersten Anlauf das vorgeschriebene Unterschriftsquorum von zehn Prozent knapp verfehlt wurde, führte die öffentliche Diskussion dazu, dass die SPD einen zweitenAnlauf initiierte, an dem sich die regierende CSU beteiligte. So wurde die Gemeinschaftsschule zur Regel und die Konfessionsschule zurAusnahme.73Volksbegehren haben zu einer Vielzahl wichtiger Grundsatzentscheidungen geführt. 30 Jahre nach dem Entscheid für die Gemeinschaftsschule wurde der bayerische Senat schlicht und einfach per Volksentscheid abgeschafft. DerNichtraucherschutz war Thema eines erfolgreichen Volksbegehrens 2009. Schließlich wurde der Umweltschutz, angeregt durch ein Volksbegehren zur Artenvielfalt und Naturschönheit – imVolksmund „Rettetdie Bienen“genannt-, im Jahr 2019 parlamentarisch beschlossen. Alle drei Initiativen wurden von der Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP) lanciert, die nie im Landtag vertreten gewesen ist und nur über rund 5.000 Mitglieder verfügt. Darin zeigtsich noch deutlicher als bei der FDP, wie kleine politische Gruppierungen sichin Bayern entfalten und wie sie die Regierungspartei immer wieder zu Kurswechseln zwingen können.7″‚Direkte Demokratie bayerischer Prägung bedeutet auch: Selbst wenn einBegehren mangels Unterschriftenzahl scheitert, kann es nachträglich zu Reformen führen. So kamen bei der Initiative „Gentechnikfrei aus Bayern“ aus demJahr 1998 nur 4,9 Prozent an Unterschriften zusammen*trotzdem wurde ein Parlamentsbeschluss zur Einführung eines Gütesiegels für gentechnikfreie Produkte gefasst. Ähnliches geschah fünf Jahre später bei dem Projekt „Men schenwürde ja – Menschenklonen niemals“. Es kamen nur 2,3 Prozent anUnterschriften zusammen; trotzdem entschloss sich eine Mehrheit im Bayerischen Landtag zur Aufnahme des Embryonenschutzes in die Verfassung,75Ein Gefühlssozialist und Bayern-Patriot bringt die SPD an die MachtDie ersten Landtagswahlen im Jahr 1946 gewann die CSU und ihrVorsitzender Hans Ehard folgte auf Hoegner als Ministerpräsident. Er regierte zunächst unangefochten. Dann aber erlitt die CSU starke Verluste bei der Wahl 1950 und landete nur sehr knapp, dank Überhangmandaten, vor der SPD. In diesem Zusammenhang wurde dem CSU-Vorsitzenden mangelnde Führungsstärke vor allem im Umgang mit der Bayernpartei vorgeworfen. Diese wurde zum gefährlichen Gegenspieler der CSU. Die Gründer der Bayernpartei bedienteneine bäuerliche Klientel in Altbayern und konkurrierten damit direkt mit demNACH 1945traditionellen Flügel der CSU. Ehard schloss daraufhin eine Koalition mit der SPD und arbeitete einträchtig mit Wilhelm Hoegner zusammen.Vier Jahre später, im Jahr 1954, gewann die CSU 38 Prozent der Wähler stimmen, gut zehn Prozent mehr als bei den vorangegangenen Wahlen. Ehard zögerte beider Koalitionsbildung, während andere CSU-Granden sich dominant gebärdeten. Vor allem der CSU-Fraktionsvorsitzende Prälat Georg Meixner(1887-1960), ein Hundhammer-Vertrauter, machte den anderen Parteien —vorallem der Bayernpartei und der Partei der Vertriebenen – deutlich, dasssiesich dem Führungsanspruch der Christsozialen unterzuordnen hätten. Parallel dazu signalisierte Ehard seinem Vize Hoegner, dass ein Wechsel in der Regierungs koalition anstehe. Hoegner reagierte darauf mit einem – in seinen eigenenWorten – „Sklavenaufstand“.76In dieser Gemengelage gelang es nämlich der SPD, hinter dem Rücken der CSU eine lose Koalition mit der Bayernpartei und den Vertriebenenvertretern sowie mit der FDP zu schmieden. Hoegner war dabei die patrio tische Integrationsfigur.Wilhelm Hoegner ist treffend von Peter Kritzer als „Gefühlssozialist“charakterisiert worden.77 Er wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf und litt als